■ Nachschlag: Fixierung im Bodenlosen – „Hanging Man“ im Dock 11
Der Deckel einer schwarzen Tonne, Modell Restmüll, öffnet sich wie von Geisterhand. Aus ihr schwebt der halbnackte Körper einer Frau, deren Taille bandagiert und über Seile an Deckenverstrebungen aufgehängt ist. An Füßen, linker Hand und geflochtenem Zopf baumeln schwere Gewichte – Steine, größer als Handgranaten. Ein Arm ist frei, und dieser vollführt eine hilflos zarte Bewegung. Zwei Minuten, dann versinkt der von solch unterschiedlichen Kräften gefesselte und beschwerte Körper wieder sachte in der Tonne.
Was geschieht mit dem Körper, wenn man ihn von den Füßen auf den Kopf stellt? Von dieser Frage haben sich der tschechische Künstler Ctibor Turba sowie die Darsteller Halka Tresnaková, Marc Pohl, Petr Kruselnicky, Ondrej Lipovsky zunächst in „experimentellen Studien“ leiten lassen. Mit der Inszenierung „Hanging Man“ präsentiert die tschechisch-deutsche Koproduktion auf der Bühne von Dock11 Ergebnisse dieser buchstäblichen Fallstudie. Dabei zielt die zündende Idee hinter „Hanging Man“ nicht auf verblüffende Akrobatik oder turnerische Höchstleistung. Mit Hilfe des Handikaps – der Fixierung des Körpers im Bodenlosen – soll die Suche nach bisher ungekannten Bewegungsformen beginnen. Außer Kruselnicky, dem 21jährigen Junior der Truppe, verfügt niemand über eine Tanzausbildung, wohl aber über professionelle Sensibilisierung für ein Theater, das wortlos Geschichten erzählt.
Ob „Hanging Man“ davor freiwillig kapituliert, bleibt offen. Gezeigt werden Fragmente, einzelne Übungen – allein, zu zweit oder zu dritt, unterbrochen vom An- oder Abmontieren der Aufhängungsvorrichtungen und vom Surren der Zugmotoren. Die Darsteller treten entschlossen auf und ab, während eine Panflöte enervierend aus dem Off haucht. Trotzdem entstehen daraus irgendwann schöne Bilder: der rituelle Todeskampf zweier gepanzerter Insekten, denen das Baumeln an nur einem Bein unerhörte Eleganz verleiht. Oder das verzweifelte Nichtzueinanderfinden von Mann und Frau; er in am Boden verankerten Schuhen, sie, nur durch wenige Millimeter von seinem Gesicht getrennt, kopfüber von der Decke hängend. Die Köpfe umkreisen einander gierig, sogartig, doch letztlich der Fliehkraft unterworfen. Augenblicke, in denen sich die seltsame Eigengesetzlichkeit des Pendelns offenbart: Sie verweist komplementär auf die unsichtbaren Begrenzungen der Körper in jenen Momenten, in denen wir scheinbar frei und unbeschwert mit beiden Beinen im Leben stehen. Eva Behrendt
Noch am 23., 26. und 30.8. um 22 Uhr im Dock 11, Kastanienallee 79
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