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■ NormalzeitPlanken, die die Welt bedeuten

1992 versuchten wir zusammen mit der Yachtwerft Köpenick, die längst von allem Verkehr abgeschnittenen und verödeten Berliner Kanäle mit dem Hausbootgedanken zu revitalisieren. Auch in puncto Wasserqualität erhofften wir uns dabei einiges. Aber die sich ökologisch wehrende Bürokratie blieb unbarmherzig, und dann wickelte die Treuhand auch schon die Yachtwerft ab.

Die urbane Politikerclique setzt nach wie vor auf Immobilienhaie, die Ufergrundstücke für reiche Combats in Crime „entwickeln“ – und nicht auf lebendige vielfältige Inbesitznahme von unten wie etwa in Amsterdam. Aber zwischen diesen beiden Polen tat sich dann doch etwas: Im Zuge des Event-Marketings kamen mehr und mehr Geschäftsleute auf Gewerbeboote – und diese könnten vielleicht eine Bresche in den albernen „Gewässerschutz“ schlagen. Erwähnt seien die Theaterkähne „La Mare“ und „Anna“, ein ähnliches in Potsdam, ferner das Hotelschiff in Treptow, das Jazzboot „Sanssouci“ an der Oberbaumbrücke und das „Hotel Esplanade“-Schiff.

Auch die wenigen alten Hausboote an der Lohmühleninsel und am Wasserversuchsinstitut der TU sowie die schon älteren Restaurant-Schiffe im Urbanhafen und am Wannsee („Sabine 2“ z.B.) könnten noch gut und gerne „Präzedenzfälle“ werden.

Seit 14 Monaten gibt es zudem im Urbanhafen ein weiteres Restaurant- und Theaterschiff: „TAU“. Es entwickelt sich bereits zu einem Top-Multikulti- Treffpunkt. 1995 erwarb es der in Istanbul geborene Ökonom und Regisseur Murat Celikel – in Rostock. Er ließ es umbauen und für noch einmal zigtausend Mark in den Landwehrkanal schleppen. Seine Idee war und ist ebenso einfach wie überzeugend: Eine freie internationale Theaterstätte (im Schiffsbauch) zu schaffen, die sich durch die Gastronomie (unter Deck sowie auf dem glasüberdachten Sonnendeck) finanzieren soll. Daneben finden auf den Decks inzwischen auch Lesungen und kleinere Konzerte statt: mit Künstlern z.B. aus Argentinien, Georgien, Rußland und Persien. Murat selbst inszenierte im „Bauch“ bereits sein Stück „Godot an Bord“, daneben verschlingt jedoch der Papierkrieg noch immer einen Großteil seiner Zeit. Drei Jahre brauchte er alleine, bis er die Liegegenehmigung im Urbanhafen bekam: Sämtliche Grünen und ihre Ämter stellten sich quer – dagegen standen Murats Arbeitsplatz- und Kultur-Argumente. Als alles klar war, wurde ihm absurderweise der Steg – für den Landgang – verweigert.

Nach gut einem Jahr Betrieb gilt es nun, die Organisation weiter zu verbessern. So kostet z.B. allein die Abwasserentsorgung des Schiffes 34.000 Mark jährlich, dafür fehlt es an Geld für die Werbung, auch könnte man das Schiff samt Gastronomie für geschlossene Veranstaltungen häufiger vermieten, außerdem müßte noch ein Verein gegründet werden, um für die Theaterprojekte staatliche sowie private Spenden akquirieren zu können. Das Promenierpublikum am Urbanhafen ist so weit bereits gut deutsch-türkisch-arabisch-thailändisch gemischt – wegen des Krankenhauses hinter dem TAU-Schiff, dem holländischen Scene-Schiff und dem Arbeitslosen-Protestkahn davor sowie dem türkischen Fischrestaurant-Dampfer dahinter.

Mehr und mehr versammeln sich im TAU zudem die Russen – ausgehend von der Armenierin Karine, die auch anderswo für „ihre“ Lieblingskünstler Auftritte organisiert – und von der Zusammenarbeit mit Murat besonders begeistert ist. Derzeit ist sogar eine türkisch-jüdisch-sowjetische Theaterproduktion im Gespräch. Rund 350 „Theaterprojekte“ gibt es in Berlin, das TAU hat gute Chancen zu einem der interessantesten zu werden. Helmut Höge

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