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Wahlkampf 98: Parteien am Rande„Die politischen Späßchen sind vorbei“

■ Neben den etablierten Parteien treten zur Bundestagswahl 18 kleine an: Die Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands setzt auf Wähler, die „auch den letzten Scheiß wählen“ wollen

Sie sind wild entschlossen: zum Saufen, zum Nichtstun und zum Regieren. Die Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands (APPD) ist eine zugelassene Partei. Doch da hören die Gemeinsamkeiten mit anderen Parteien auch schon auf. Statt Arbeit für alle fordert sie volles Recht auf Arbeitslosigkeit bei vollem Lohnausgleich. Selbst Doppelmitgliedschaften sind möglich. Meist handelt es sich um die Kreuzberger Spaßpartei „KPD-RZ“.

Christo Großmann vom Landesverband Berlin, der als „2. Vorsitzender im Schattenkabinett“ fungiert, räumt ein, nicht mal offizielles Parteimitglied zu sein, weil er es irgendwie nicht auf die Reihe kriegt, ein Paßbild aufzutreiben. Mit solchem Schnickschnack will sich die APPD nicht aufhalten. Kann sie nicht. Denn die Pogo-Partei, die in Berlin 30 Mitglieder und 200 Sympathisanten hat und kürzlich im „Pfefferberg“ ihren 5. Parteitag als Be

säufnis veranstaltete, will die Macht. Ihr Spitzenkandidat, der Hamburger Karl Nagel, der eigentlich Peter Altenburg heißt, hat vergangene Woche im SO36 voll auf die Tube gedrückt: „Die politischen Späßchen sind vorbei!“ brüllte der Veteran der Punkerszene ins Mikrofon. „Ich beabsichtige, Kanzler zu werden. Wählt mich, und alles wird gut.“

Nagel spricht aus, was andere Kanzlerkandidaten nur denken: „Jawoll, ich gebe es zu, ich bin Exhibitionist.“ Er redet Fraktur, so wie seine Partei die Frakturschrift auf Plakaten und T-Shirts verwendet, auf denen Sprüche wie „Saufen, saufen, jeden Tag nur saufen“ stehen. Wer die APPD auf die Nazi-Frakturschrift anspricht, muß sich zumindest den Vorwurf gefallen lassen, die „Hintergründe der durchgeknallten Säuferpartei“ nicht verstanden zu haben. Ein Vorwurf, mit dem es sich leben läßt. Alles eine Frage der Promillegrenze.

Man könnte ja sowieso meinen, daß die Asozialen schon an der Macht seien. Doch das sieht die APPD, die es bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 1996 in Sankt Pauli sogar über die Fünfprozenthürde geschafft hat, anders. Sie fordert als „Partei des Pöbels und der Sozialschmarotzer, den Asozialen eine Stimme zu verleihen“. Der Sieg der DVU in Sachsen-Anhalt habe bewiesen, daß immer mehr Menschen bereit seien, „auch den letzten Scheiß“ zu wählen.

Auf der Wahlkampfparty am 4. September im SO36 wird die APPD ihren Wählern nicht nur versprechen, daß sie „auch nur euer Geld!“ will, sondern auch die Schließung aller Gefängnisse, die Freigabe aller Drogen, die Abschaffung der Polizei und die Einführung von Gewalt-Erlebnis-Parks. Doch alles nach dem Motto „Wer nicht will, der hat schon“. Die „Abteilung Gehirnwäsche“ betont, daß die APPD kein Interesse habe, anderen ihre „beglückenden Auffassungen gegen ihren Willen aufzuzwingen“. Auch das unterscheidet sie von den anderen Parteien. Barbara Bollwahn

wird fortgesetzt

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