: „Schlafen kann ich noch genug“
Wachschützer Dieter Buttler kontrolliert in der Nacht, ob die Fenster und Türen von leerstehenden Bürogebäuden, Kneipen und alten Fabrikhallen auch wirklich zu sind ■ Von Barbara Bollwahn
Dieter Buttler ist startklar: Er verstaut den großen Schlüsselbund, das Funkgerät und die elektronische Stechuhr im Wagen. In der Ablage liegt eine Schachtel HB. Mehr braucht der Wachschützer nicht für seine Tour, die um 19.30 Uhr beginnt und erst gegen 7 Uhr morgens enden wird.
Obwohl Dieter Buttler schon die Nacht zuvor zum Tag gemacht und tagsüber nicht geschlafen hat, ist er fit. „Ich brauche nicht viel Schlaf“, sagt er, „ich kann später noch genug schlafen“, fügt er hinzu und lacht. Der 47jährige ist Einsatzleiter bei der Firma Gegenbauer Sicherheitsdienste GmbH und auf Reviertour unterwegs. Sieben Objekte stehen auf seinem Plan. Einige wird er dreimal abfahren. So will es der Kunde.
Das erste Objekt ist ein leerstehendes Bürogebäude in Tegel. Dieter Buttler trägt auf einer Liste die Ankunftszeit ein und sucht den passenden Schlüssel. Den ganzen Bund nimmt er nicht mit. Aus Sicherheitsgründen. Es könnte ja einer verlorengehen. Das Haus ist nicht verschlossen. Dafür ist Buttler zuständig. Er geht rein und schließt hinter sich ab. Dann kommt das „Deisterkontrollsystem“ zum Einsatz, ein Gerät, das wie ein Handy aussieht. Es wird über einen Magnetstreifen gezogen und speichert Datum, Uhrzeit und Objektstelle. So weiß der Auftraggeber, wann der Wachschutz seine Runde gedreht hat.
Das Schaufenster eines Dessousgeschäftes, das vom Bürogebäude aus zu sehen ist, würdigt Buttler keines Blickes. Er ist scharf auf Türen und Fenster. Buttler drückt die Klinke der gegenüberliegenden Tür herunter. Zu. Hoch geht's in die erste Etage. Türklinke links, Türklinke rechts. Auch in der zweiten und dritten Etage ist alles okay. Auf dem Weg zur letzten Etage steht ein Flurfenster offen. Bis Buttler es schließt. Er kontrolliert die Türen im vierten Stockwerk, fährt über den Magnetstreifen und tritt den Rückweg an. Obwohl es einen Fahrstuhl gibt, nimmt er die Treppe. Aus Sicherheitsgründen. Was, wenn er steckenbleibt, was, wenn ihm etwas im Treppenhaus entgeht? Dann geht es in den Keller runter. Wieder geht Buttler Klinken putzen. Alles in Ordnung. In der Tiefgarage hallen nur seine eigenen Schritte.
Die nächste Station ist die ehemalige Gegenbauer-Zentrale in Charlottenburg. Nach dem Umzug nach Birkenwerder steht das sechsgeschossige Bürohaus bis auf das Erdgeschoß und die erste Etage leer. Als es errichtet wurde, war Buttler noch bei einer anderen Wachfirma. Bei Gegenbauer ist er seit Juni vergangenen Jahres. Bevor er vor 14 Jahren in die Branche einstieg, war er Kraftfahrer. Als die Firma pleite ging, rutschte er über seinen Bruder in den Job. „Am Anfang habe ich für 7,20 Mark die Stunde die ganze Nacht auf einem Objekt rumgehangen. Da versauert man.“ Die Revierkontrollen findet er besser. „Da bin ich im Auto und zu Fuß unterwegs.“ Etwa 150 Autokilometer und 10 Fußkilometer schätzt Buttler pro Schicht. Obwohl er allein unterwegs ist – zwei Leute wären zu teuer –, langweilt er sich nicht. Der viertägige Tourwechsel ist ihm Abwechslung genug.
144 Stufen hoch, 144 Stufen runter – der Kontrollgang in der alten Gegenbauer-Zentrale verläuft ohne besondere Vorkommnisse. Buttler nimmt Kurs auf Kreuzberg. Ein fünfstöckiges Gebäude mit Arztpraxen und einer Druckerei ist an der Reihe. Mittlerweile ist es stockdunkel. „Jetzt geht die Sucherei wieder los“, sagt er und tastet nach dem Schlüsselloch. Buttler, der die Treppen schon lange nicht mehr zählt, läuft die fünf Etagen ab und sitzt wenige Minuten später wieder im Auto. Nun geht's in ein leeres Fabrikgebäude nach Neukölln. Mit der Taschenlampe läuft Buttler das Gelände ab, das teilweise von meterhohem Unkraut bewachsen ist. Nur der Wind treibt in den Bäumen sein Unwesen.
Endlich kann sich Buttler zu seinem „Lieblingsobjekt“ aufmachen, einem Bildungswerk in Karlshorst. „Da gibt es einen Kaffeeautomaten“, freut er sich. Das ist die einzige Pause, die er sich gönnt. Mit seinem geschulten Gehör hat er ein offenes Fenster ausgemacht. Den Auftraggeber wird er am nächsten Morgen darüber informieren. Am Monatsende gibt es einen ausführlichen Bericht.
Mit dem warmen Kaffee im Bauch fährt Buttler nach Hohenschönhausen zu einem Einkaufszentrum. Auch hier nur Außenkontrolle. Alles in Ordnung. Nur bei einer Imbißbude ist die Scheibe kaputt. „Zersplitterung wurde Polizei schon gemeldet“, steht auf einem Schild. Buttler fährt weiter durch die nächtliche Stadt, in der nur noch wenige Autos und leere Busse unterwegs sind. Angst vor Überfällen hat er nicht. Der ehemalige Hobbyboxer setzt auf seine Fäuste, andere Wachschützer auf Pfefferspray. Waffen dürfen sie nicht tragen.
Buttlers nächstes Ziel ist ein Lokal in Marienfelde, das um 22 Uhr schließt. „Die Wirtsleute wollen, daß wir einmal vor und einmal nach Mitternacht vorbeischauen“, erzählt er. Es ist kurz nach 23 Uhr. Am Hoftor warnt ein Schild vor einem Hund. „Die haben gar keinen“, weiß Buttler. Er öffnet das Tor, kontrolliert Rolläden und Türen und wirft einen Blick hoch zum Schlafzimmer, wo noch Licht brennt. „Das sind ängstliche alte Leute“, flüstert er. Normalerweise haben Privatleute Alarmanlagen. Doch das ist den Gastwirtsleuten zu teuer. Den Wachdienst bezahlen sie pro Minute. Über den Preis schweigt Buttler. Aus Sicherheitsgründen.
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