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Immer wieder Brot und Spiele

Die alten Schlachtrosse der SPD, Bahr, Ehmke, Vogel und Eppler, beobachten Schröders Medienwahlkampf neugierig und skeptisch. Vieles hat sich geändert – aber nicht alles  ■ Von Markus Franz

Bonn (taz) – Wie bitte, Medienwahlkampf? Wir brauchen einen Medienwahlkampf? Egon Bahr schäumt. Und das bei der SPD? Das ist doch wie ein Karussell. Es ist bunt, macht Lärm und dreht sich um sich selbst. Bahr kategorisch: „Ich bin dagegen.“

Das war im Jahr 1961. Heute sagt der 76jährige Bahr, der sie alle erlebt hat, die spannenden, politischen Wahlkämpfe um die Westanbindung, die Ostpolitik, die Wiedervereinigung: „Damals war ich altmodisch. Ich habe lernen müssen.“

Viele Wahlbeobachter sind sich einig: Der Bundestagswahlkampf 1998 ist inhaltsleer wie selten zuvor. Die alten Kämpen der SPD jedoch, Egon Bahr, Horst Ehmke, Erhard Eppler und Hans-Jochen Vogel, sind nicht so sicher, ob die früheren Wahlkämpfe, in denen wie bei Willy Brandt ein uneheliches Kind eine Rolle spielen konnte, niveauvoller waren.

Wahlkampf heute bei der SPD bedeutet: eine neuerrichtete Wahlkampfzentrale, festangestellte Meinungsforscher, die jede inhaltliche Positionierung der SPD vorab beim Wahlvolk testen, Telefoncampaigning, Intranet, Einmarschsong für den Kanzlerkandidaten, 50 Prozent des Wahlkampfetats für die Werbung. Und dann dieser durchgestylte Parteitag in Leipzig mit Gänsehautmusik, Regieanweisungen, die auf die Minute genau jeden Kameraschwenk und jede Geste festlegen. „Donnerwetter“, sagt Egon Bahr, der Bundesgeschäftsführer, der für die SPD 1980 die letzten Bundestagswahlen gewonnen hat, „bisher konnte das nur die CDU, nun können wir das auch, nur moderner.“

Horst Ehmke, der zur Zeit der Großen Koalition von SPD und Union die „Strategie des begrenzten Konflikts“ entwarf, kommt allerdings schon „ein bißchen das Zittern“, wenn er daran denkt, wie die Parteien in Deutschland den amerikanischen Wahlkämpfern immer mehr nacheifern. Er hält die heutigen Wahlkämpfe für weniger sachlich, weniger konkret, eben für ein „bißchen mehr Amerika“. Erhard Eppler, in den 60er und 70er Jahren Vorkämpfer in der SPD für Friedensbewegung und Ökologie, betrachtet den Wahlkampf mit einer „Mischung aus Befremden und Amüsement“. Und Hans-Jochen Vogel, der ehemalige Kanzlerkandidat und Parteivorsitzende, bedauert, daß es durch die „Häppchenwirtschaft der Medien“ schwer geworden sei, Inhalte zu vermitteln. War früher also doch alles besser?

Vogel zweifelt daran, daß die Wahlkämpfe früher inhaltlicher waren. Die wenigen sachlich zugespitzten Wahlkämpfe der Vergangenheit seien durch einmalige geschichtliche Konstellationen begünstigt gewesen, wie die Auseinandersetzung um die Ostpolitik, die Aufrüstungsdebatte und die Wiedervereinigung. Heute fehlten solche historischen Themen eben. Auch Bahr hat Bedenken. Der Wahlkampf 1980, erinnert er sich, stand auf zwei Pfeilern. Erstens: Beim Thema Entspannungspolitik habe die SPD mehr zu sagen gehabt als die Union. Das hatte sich aber erledigt, so Bahr, als Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Begegnung mit Erich Honecker abgesagt habe. Blieb der zweite Pfeiler: Schmidt sei besser gewesen als Strauß. Dabei hätte es im Jahr der ersten Ölpreisexplosion durchaus noch ein interessantes Streitthema gegeben: die Diskussion über die Umweltfrage und die Verteuerung von Energie. Doch weder SPD noch CDU trauten sich an das Thema heran.

Geradezu primitiv, sagt der 71jährige Eppler, seien die Wahlkämpfe von Konrad Adenauer gewesen. Sein Motto habe gelautet: Die anderen sind der Untergang Deutschlands. Also bloß keine Experimente. Das kommt einem doch bekannt vor. Die CSU wirbt im Bayern-Wahlkampf mit dem Slogan: „Freiheit statt Sozialismus“, wie schon die CDU im Jahr 1976, und die neueste Parole der CDU lautet: „Sicherheit statt Risiko“. Eppler zufolge ist die Wahlkampfstrategie seit Bismarcks Zeiten gleich geblieben. Es gehe immer darum: Zeige dem Volk den Feind. Bei Bismarck seien es die Sozialisten gewesen, in der Weimarer Republik die Novemberverbrecher, nach 1949 die Marxisten und heute das Linksbündnis von SPD, Grünen und PDS.

Bahr geht sogar bis zu den alten Römern zurück. Heute wie damals gehe es immer um Brot und Spiele. Heute stehe Brot für Arbeit und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, und die Spiele in der Arena seien ersetzt durch die Wortgefechte der Spitzenkandidaten. Nur die Technik habe sich entwickelt. „Im Prinzip sehen wir die logische Fortentwicklung dessen, was es schon immer gab.“

Bedeutet es also keinen Tiefpunkt, wenn der Kanzlerkandidat der SPD mit Sprüchen kokettiert wie „Entgegen mancher Behauptung habe ich das Wahlprogramm der SPD tatsächlich gelesen“? Herbert Wehner würde möglicherweise knurrig zurückfragen: „Warum denn das?“ Von ihm sind die Sätze überliefert: „Die ganzen Programme, wer liest die schon.“ Der Wahlkampf, so Wehners Motto, reduziere sich zum Schluß nur auf eine einzige Sache: „Schlagt sie!“

Zumindest 1969 scheint ein gutes Wahljahr für Programme gewesen zu sein. Ehmke erinnert daran, daß die SPD damals etwa 370.000 Exemplare eines Perspektivpapiers für die 70er Jahre verkaufen konnte. Verkaufen! Das, so Bahr, wäre heute nicht mehr möglich. 1998 verteilt die SPD in Millionenauflage Chipkärtchen, auf denen „zehn gute Gründe“ stehen, weshalb die Regierung Kohl abgelöst werden sollte.

Vogel vermutet, daß die Aufnahmebereitschaft der Menschen heutzutage geringer sei, auch deshalb, weil sie nicht mehr so gefordert würden wie früher. Eppler glaubt, daß die Menschen „sukzessive entpolitisiert“ wurden. Anders als Ehmke, der allein die Regierungszeit Helmut Kohls dafür mitverantwortlich macht, nennt Eppler den Zeitraum seit 1974, dem Beginn der Kanzlerschaft seines Intimfeindes Helmut Schmidt. Dieser habe immer gesagt: Ich mache Krisenmanagement. Das aber sei inhaltslos gewesen. Helmut Kohl habe dann das Durchwursteln als Normalität etabliert. Seitdem gelte in der Politik: „Wer ist der beste Durchwurstler?“

Dennoch hat Eppler die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht aufgegeben. Die Wahlkämpfe in den Niederlanden und vor allem in Frankreich, wo der wenig charismatische Jospin die Wahl gewonnen habe, seien programmatische Wahlkämpfe gewesen. Diesmal ist es in Deutschland halt nicht so toll. Aber, so tröstet sich Eppler, mit den Wahlkämpfen der alten Prägung hat es die SPD in den letzten 16 Jahren schließlich nicht geschafft. Deshalb sagt er sich: „Nun probiert's eben mal so. Ich kann's euch nicht übelnehmen.“

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