: Machtlos gegen den russischen Monopoly-Kapitalismus
■ Viel mehr als gute Ratschläge kann Deutschland zur Lösung der Moskauer Krise nicht bieten
Deutschland hat ein Interesse an der wirtschaftlichen und politischen Stabilität Rußlands. Zu verlieren hat es weniger im Güterexport als vor allem im Kreditbereich. Allein die Forderungen deutscher Banken belaufen sich 505 Milliarden Mark, das entspricht fast der Hälfte der Gesamtverbindlichkeiten Rußlands gegenüber ausländischen Banken. Auch an den Krediten des IWF, der Weltbank und der G 7 ist Deutschland als Geldgeber stark beteiligt.
Es läßt sich nicht behaupten, die deutsche Außenpolitik oder die Außenhandel betreibenden Unternehmen hätten sich Rußland gegenüber prinzipiell falsch verhalten. Zumindest haben sie sich im Einklang mit den übernationalen Regulierungsinstitutionen bewegt. Das wird sich sicherlich auch nicht ändern.
Eines aber wird in jedem Falle anders sein: Boris Jelzin wird kaum weiterhin als Schlüsselfigur angesehen werden können. Bisher war er es, der als Garant des Umbaus Rußland zu einer Marktwirtschaft und einer Demokratie fungierte. Der Präsident verhinderte eine Rückkehr der Kommunisten an die Macht. Die marktwirtschaftlichen Reformen, die es gab, hätten ohne Jelzins Machtfülle so nicht durchgesetzt werden können.
Die jetzige Krise, die aller Welt die faktische Machtlosigkeit des russischen Präsidenten vor Augen führt, ist auch eine Konsequenz der Strukturmängel, die sich nach dem Abbruch des sozialistischen Wirtschaftssystems herausbildeten: Im politischen Bereich eine extreme Konzentration der formellen Macht beim Präsidenten, eine entsprechende Günstlingskamarilla und das Problem der Durchsetzung dieser Herrschaft gegen Tendenzen zu ihrer Erosion. Was tut der Herrscher, wenn die untergeordneten Ebenen seine Dekrete einfach ignorieren? Das Fehlen einer gesamtstaatlichen Parteienstruktur – mit Ausnahme der Kommunisten – förderte das Entstehen vieler kleiner Kreml in den Provinzhauptstädten und verhinderte die Entstehung einer politischen Kultur, die Ansätze einer zivilen Gesellschaft gezeigt hätte.
Im Westen war seit den achtziger Jahren die Vorstellung verbreitet worden, daß der Kapitalismus wie ein großes Monopoly-Spiel funktioniere. Allerdings hatte sich dort auch die Idee behauptet, daß Geld ebenfalls durch produktive Investitionen, die Herstellung von Gütern oder die Bereitstellung von Dienstleistungen verdient werden könne.
Mit diesen antiquierten Gedanken gaben sich die Rußland reformierenden Eliten nicht mehr ab – und wenn sie es denn doch einmal taten, fiel ihnen immer nur die staatliche Wirtschaftslenkung ihrer vorreformatorischen Lebensphase ein. Daß Kapitalismus mehr meint als Finanz- oder Börsenspekulation, daß der Staat Steuergelder benötigt, auch wenn niemand sie gerne bezahlt, daß Unterschlagung und Korruption keine produktiven wirtschaftlichen Betätigungen sind, all diese Einsichten müssen sich erst noch durchsetzen. Bisher ist das Bild des Monopoly- Kapitalismus noch so stark, daß selbst Lohnzahlungen als Verluste gerechnet werden – wie in den „Ereigniskarten“ des entsprechenden Gesellschaftsspiels.
Hier kann der Westen auch dann wenig ausrichten, wenn er es wollte. Rußland muß sich selbst auf seine eigenen Füße stellen. Von außen läßt sich das nicht organisieren und nur dann stimulieren, wenn es durchsetzungsfähige Ansprechpartner gibt. Leider hat dort das Bestreben, funktionsfähige und elastische Institutionen und Unternehmen aufzubauen, noch zu wenig Anhänger.
Deutsche Politiker können vor allem freundliche Ratschläge geben. Viel hängt von ihnen nicht ab, gleichgültig, ob der nächste Bundeskanzler Kohl oder Schröder heißen wird. Erhard Stölting
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