: Reliqien eines Revolutionärs
■ SchülerInnen präsentieren im Museum Wilmersdorf eine Ausstellung über Dutschke
„Die Rudi-Dutschke-Ausstellung? Ja, die ist hier.“ Antonia Brinker empfängt die Besucher des Wilmersdorfer Museums. Zumindest wartet sie darauf. Der Raum ist menschenleer. Es riecht ein wenig nach Weihrauch. Vielleicht aber auch nur nach Heimatmuseum. Die meiste Zeit sei es so leer wie jetzt, sagt Antonia vom Kreisverband Wilmersdorf von Bündnis 90/Die Grünen, dem Organisator der Ausstellung. „Bisher waren nur sehr wenig Leute hier“, bedauert sie und schiebt lachend ein „vor allem Alt-Achtundsechziger“ hinterher.
In einem kleinen Raum am Hohenzollerndamm 177 erinnern seit Sonntag Fotos, Texte, Zeugniskopien, Geburts- und Heiratsurkunde und drei oder vier Briefe an eine Zeit vor dreißig Jahren. Und dann sind da noch ein geringelter Strickpulli und eine alte, abgewetzte Lederjacke. Beides gehörte vermutlich Rudi Dutschke, zumindest liegen sie zusammen mit seinem Personalausweis wie Reliquien hinter Glas. „Doktor Alfred Willi Rudi Dutschke“ steht in dem Ausweis in der Vitrine, geboren am 7. März 1940 in Schönefeld bei Luckenwalde, eins siebzig groß, Augenfarbe graugrün, Narbe auf der rechten Wange. So weit die Personalien zu Beginn der Ausstellung. Damit man weiß, um wen es geht.
Dann hängen an den Stellwänden Fotos vom kleinen Rudi beim Schulsport und vom älteren Rudi beim Fußballspiel mit dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt. Dutschke wollte Sportjournalist werden, steht auf dem Text daneben. In einem Brief warnt die Mutter ihren Sohn vor dem bösen West-Berlin, in dem Rudi Soziologie studiert und sein politisches Leben die Studentenbewegung prägt. Dann ein paar Fotos von Rudis Wohnungen in Berlin, Bilder von Protestmärschen gegen den Vietnamkrieg und von Protestmärschen gegen Dutschke, den „Staatsfeind Nummer 1“. Und daneben die Erinnerung an den Tag des Terrors in Dutschkes Leben, an den Frühlingstag im April 1968: Hier hält der Betrachter erstmals inne und versucht sich etwas vorzustellen, was er nur aus Büchern und von Bildern kennt. Ja, es passierte direkt hier um die Ecke, in Wilmersdorf: Am Kurfürstendamm läuft Dutschke über die Straße, um Medizin für seinen kranken Sohn zu holen. Kurz darauf schießt ihm ein gewisser Josef Bachmann in den Kopf. Dutschke bricht schwer verletzt zusammen. Die Studentenbewegung verliert ihren leidenschaftlichsten Redner.
Wilmersdorf, September 1998. Dreißig Jahre nach dem Attentat versuchen die Bilder, Texte und Reliquien im Museum Wilmersdorf einen Blick auf den Menschen Dutschke zu werfen, nicht auf den Politiker. So auch die Intention von Helmut Dutschke, Bruder von Rudi, der an der Vorbereitung der Ausstellung mitgewirkt hat.
Die Idee nahm ihren Anfang in Luckenwalde, der kleinen Stadt, 50 Kilometer südlich von Berlin, in der Dutschke aufwuchs. Vor drei Jahren weigerte sich die Schulleitung des dortigen Friedrich-Gymnasiums, in dem auch der junge Dutschke lernte, eine Gedenktafel in der Aula zu installieren. Mit dem Ergebnis, daß sich plötzlich auch SchülerInnen für den Revolutionär interessierten, von dem sie vorher wenig wußten. Sie erstellten eine Sonderausgabe ihrer Schülerzeitung über Dutschke. Später entwickelten sie gemeinsam mit Berliner SchülerInnen die Ausstellung. Seit zwei Jahren zieht das Ergebnis dieser Zusammenarbeit quer durch Deutschland, und bis zum 20. September bleibt es jetzt in Berlin. Thomas Müller
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