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■ Für eine Große Koalition spricht nicht nur, daß Rot-Grün eine wackelige Sache würde. Sie steht auch für das deutsche KonsensmodellKeine Angst vor der Großen Koalition

Zwei Wochen vor den Wahlen haben sich zwei Möglichkeiten herauskristallisiert: Rot-Grün und eine Große Koalition. Zwar neigen alle ökologischen, fortschrittlichen Geister noch immer zu Rot-Grün, allerdings eher lustlos. Denn zum einen existieren kaum gesellschaftliche Kräfte, die Rot-Grün tragen würden, zum anderen bietet die Aussicht, daß die Grünen unter einem in die Mitte strebenden Kanzler Schröder ein bißchen mitregieren dürfen, wenig Grund zum Jubeln. Die Frage lautet: Was spricht, aus linker Warte, für eine Große Koalition?

Die Große Koalition steht bei Linksliberalen unter Generalverdacht. Die vage Erinnerung, daß sie 1966 bis 1969 im Parlament unbehelligt die Notstandsgesetze durchbrachte, überdeckt alles andere – zum Beispiel, daß sie die notwendige Vorstufe des sozialliberalen Wechsels war. Die Große Koalition gilt als tendenziell antidemokratisch, als eine fast halbtotalitäre Art, den Parlamentarismus von innen auszuhebeln.

Aus dieser Ansicht spricht ein Vorurteil gegen die Volksparteien, denen man per se unterstellt, daß sie es mit der Demokratie nicht so genau nehmen. Läßt man dieses Ressentiment beiseite, bleibt das Argument: Eine Große Koalition würde zu einer politischen Verödung führen, die die Demokratieverdrossenheit des Wahlvolkes noch steigern könnte.

Doch das wäre 1998 anders. In den 60ern opponierte nur die FDP, die vor allem beleidigt war, daß sie nicht auch noch mitregieren durfte. Sie zerfiel damals in einen nationalkonservativen, der Union zugeneigten, und einen linksliberalen, der SPD zugeneigten Teil. So spiegelte sich auch in der Opposition gewissermaßen die Regierung wider. Heute würde es eine Große Koalition mit der PDS, den Grünen und der FDP zu tun haben. Mit dieser Opposition ist die Gefahr einer Verödung des Bundestages gering. Im Gegenteil: Mit Grünen, die keine Rücksicht mehr auf die technokratische Schröder-SPD zu nehmen bräuchten, und einer FDP, die sich deutlich zu einer rechten, neoliberalen Protestpartei entwickeln dürfte, würde der parlamentarische Betrieb eher lebendiger. So böte sich die Chance einer Repolitisierung, die auch auf die Gesellschaft abfärben könnte.

Eine Große Koalition liegt zudem aus einem schlichten, pragmatischen Grund nahe: SPD und CDU waren sich selten so einig wie derzeit. Gerade deshalb wirkt ihr Ton so angestrengt, wenn sich beide im Wahlkampf als das jeweils ganz Andere zu inszenieren versuchen. Dieses Verwischen der Profile ist mit dem Ende der Blockkonfrontation offensichtlich geworden. Den Volksparteien sind seit 1989 die ideologischen Stützräder abhanden gekommen – vor allem die Konservativen leiden unter dem Verschwinden des Feindes. 1976 konnte die CDU/CSU noch mit dem Slogan „Freiheit statt Sozialismus“ verängstigte Bürger um sich scharen. Heute wirkt der Lagerwahlkampf wie das muffige Revival eines schon damals antiquierten Versuchs, den Konkurrenten zu dämonisieren. Kohls konservativ-liberaler Block, der allein die Westbindung Deutschlands garantieren kann und die Gesellschaft vor sozialistischen Experimenten bewahrt, ist eine Veranstaltung von gestern.

Die SPD hingegen versucht Kohl als Abrißbirne des Sozialstaats darzustellen und gibt sich als Freund aller betrogenen Rentner und Arbeitslosen. Weg mit der Rentenreform, weg mit der gekürzten Lohnfortzahlung bei Krankheit – diese Parolen gelten allerdings nur bis zum 27. September. Danach zählt das Kleingedruckte. Dort steht: Im Zweifel gilt der Finanzierungsvorbehalt.

Die soziale SPD-Rhetorik klingt zudem unglaubwürdig, weil Kohl keinen deutschen Thatcherismus installiert hat. Auf das Konto der CDU geht manche unsoziale Tat – den Rahmen des korporativistischen deutschen Modells hat sie nicht gesprengt. Was den Sozialstaat angeht, stehen sich CDU und SPD näher als CDU und FDP. Die Liberalen zielen in der Tat auf eine entstaatlichte, individualisierte Gesellschaft nach dem Vorbild der rechten Gegenrevolutionen in den USA und Großbritannien der 80er – die CDU nicht.

Ähnliches gilt symmetrisch auf der anderen Seite des Spektrums. Ökologie hält Schröder für ein Thema, das sich für Sonntagsreden gut eignet, seine Herzensangelegenheit ist die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. In diesen zentralen Fragen steht die Schröder-SPD der CDU näher als den Grünen. Sozial- und wirtschaftspolitisch könnte eine Große Koalition insofern Sinn machen. Das undurchschaubare Steuersystem zu vereinfachen, das bizarre Ungerechtigkeiten produziert, kann zudem wohl nur konsensual gelingen. Dazu müssen beide Volksparteien ihren Klientelen Veränderungen zumuten. Schröder will eine Steuerreform ohnehin nur mit der CDU durchsetzen. Es fragt sich, was die Grünen in dieser Konstellation im Kabinett wollen.

Die Große Koalition stünde für die Bewahrung des deutschen Konsensmodells. Sie wäre ein Zeichen, daß man auch unter schwierigen ökonomischen Bedingungen nicht auf neoliberale Hauruckpolitik setzt, sondern auf gemeinsames Austarieren widersprüchlicher Interessen. Die „Konzertierte Aktion“ der 60er war nichts anderes als ein „Bündnis für Arbeit“. Dort könnten auch Schröders (für Linke nicht leicht erkennbare) Talente zur Geltung kommen. Er ist ein Mann des Konsenses, ein Moderator, dessen Geschick sich entfaltet, wenn er die Mehrheit auf seiner Seite weiß – kurzum: der Kanzler einer Großen Koalition.

Eine rot-grüne Regierung stünde hingegen – ziemlich gleichgültig, was sie tut – unter stetem konservativen medialen Trommelfeuer. Doch Konflikte gegen die öffentliche Mehrheitsmeinung durchzustehen, das ist Schröders Sache nicht. Zu befürchten ist eher, daß er seinen Wahlkampf- auch zu seinem Regierungsstil machen würde: sich keinesfalls ins rot- grüne Lager drängen zu lassen. Und das heißt, jenen Lagerwahlkampf gegen die Grünen fortzusetzen, den man vor zwei, drei Monaten erleben konnte.

Die Grünen könnten sich rasch in einer ungemütlichen Lage wiederfinden. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Schröder und Schily gerade in der Inneren Sicherheit plakativ zeigen werden, wer die Hosen an hat, um der konservativen Propaganda den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dann bliebe den Grünen nur die Wahl zwischen zwei Übeln: entweder Rot-Grün oder das eigene Selbstverständnis als liberale Bürgerrechtspartei zu beerdigen. Eine No-win-Situation, ein Bonner Garzweiler, ohne Hoffnung auf Aufschub. Stefan Reinecke

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