: Sentimentalität tötet
Reisen in fremden Köpfen: Der israelische Schriftsteller Amos Oz in Hamburg. Ein Interview ■ Von Bianca Leitner
Mit der poetologischen Vortragssammlung So fangen die Geschichten an und seinem jüngsten, demnächst auf deutsch erscheinenden Werk Das Schweigen des Himmels. Über S. J. Agnon war Amos Oz am Freitag zu Gast im Hamburger Literaturhaus. Der israelische Autor, der sich in den beiden Büchern mit der Prosa von Kollegen auseinandersetzt, bezeichnet sich selbst schlicht als Geschichtenerzähler: „Ich reise in die Köpfe anderer Menschen. Ich stehe morgens auf, trinke Kaffee und stelle mir vor, ich wäre jemand anderes. Das ist das ganze Geheimnis.“ Für seinen Kampf gegen Fanatismus, Gewalt und Gleichgültigkeit wurde Amos Oz 1992 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet. In diesem Frühjahr kam der „Israel Preis“ für Literatur hinzu, den Orthodoxe seiner Heimat ihm streitig machen wollten. Die Stimme des 59jährigen Mitbegründers der Friedensbewegung „Schalom achschaw“ (Peace Now) zählt längst nicht nur zu den literarisch bedeutendsten seines Landes, sondern hat international politisches Gewicht.
taz hamburg: Herr Oz, warum ein Buch über erste Sätze?
Amos Oz: Weil es mein eigenes schweres Schicksal ist. Jedesmal, wenn ich eine Geschichte beginne, muß ich um den ersten Satz kämpfen. Ein leerer Schreibtisch, ein weißes Blatt Papier und die Verzweiflung.
Sie beginnen und enden mit Ihrem Vater.
Er war vergleichender Literaturwissenschaftler und hat mich immer um etwas beneidet, das er für schriftstellerische Freiheit hielt. Er hatte keine Ahnung, daß es so etwas gar nicht gibt. Die meisten Menschen halten den Blitz für ein Symbol der Freiheit. Dabei ist er nur ein Sklave der Elektrizität. Ich glaube, die künstlerische Freiheit des Dichters ist wie der Blitz. Für eine romantische Seele sieht er aus wie die Inkarnation der Freiheit, aber es gibt sehr wenig Freiheit in diesem Geschäft.
Sie mögen keine Romantik?
Ich mag keine Sentimentalität. Die meisten Menschen töten nicht für Geld, sondern aus sentimentalen Gründen, das schließt Ideologien mit ein. Sie sind auch nur große Sentimentalitäten. Todesursache Nummer 1 auf der Welt sind nicht Herzinfarkte oder Krebs, sondern Sentimentalität. Ich kann es nicht beweisen, aber es ist wahr.
Wie war die Beziehung zu Ihrem Vater?
Sehr kompliziert. Er wollte zwei ganz verschiedene Dinge für mich. Einerseits sollte ich berühmt werden, andererseits ein einfacher unkomplizierter neuer Typ Jude, ein Traktorfahrer, blond und erdverbunden. Ich hatte gegen seine Fantasien keine Chance. Egal was ich tat – eine habe ich immer erfüllt.
Wie ist die Situation für Künstler in Israel? Ihre kritischen Worte finden im rechten und religiösen Lager nicht viel Anklang.
Es gibt sehr viele kulturelle Spannungen, immer, aber es gibt keine Zensur. Das Schlimmste, was mir passiert, sind Haßbriefe und Todesdrohungen von Fanatikern am Telefon.
Sollten Sie die nicht ernst nehmen?
Nicht in diesem mediteranen Klima. Wir Israelis gehören in ein Fellini-Movie, nicht in einen Ingmar-Bergmann-Film. Wir machen immer viel Krach und schreien bei jeder Kleinigkeit „Ich bring' dich um...“.
Genug reale Beispiele gibt es ja ...
Ein- oder zweimal seit Bestehen des Staates Israel gab es Beispiele für interne, politisch motivierte Gewalt, wie z. B. die Ermordung von Rabin. In einem Land, das so tief gespalten ist, ist es ein Wunder, daß nicht viel mehr passiert.
Gibt es einen Austausch zwischen israelischen und palästinensischen Künstlern?
Natürlich, andauernd und sehr intensiv. Es ist eine weitverbreitete Krankheit der Europäer zu glauben, wir müßten uns nur mal näher kennenlernen, dann würden wir feststellen, daß der andere keine Hörner und keinen Schwanz hat, und alle Mißverständnisse würden verschwinden. Die Wahrheit ist: Es gibt keine Mißverständnisse zwischen Israelis und Palästinensern. Sie verstehen sich perfekt. Beide wollen dasselbe Land aus denselben Gründen. Was wir brauchen, ist ein Kompromiß, nicht besseres Verständnis. Wenn zwei Frauen denselben Mann lieben, wird das Problem auch nicht dadurch gelöst, daß sie Kaffee trinken gehen. Das ist die Natur unserer Tragödie: Es gibt entweder ein Blutbad oder einen traurigen Kompromiß. Ich hoffe auf den Kompromiß.
Glauben Sie, daß Sie als politisch engagierter Schriftsteller die Dinge beeinflussen können?
Wenn mir jemand einen mathematischen Beweis liefern würde, daß ich in 30 Jahren nicht einen einzigen Kopf beeinflußt hätte, ich würde trotzdem genauso weitermachen. Es ist wie ein Zwang für mich.
„Oz“ bedeutet auf hebräisch „Kraft, Stärke“. Was ist Ihre Kraftquelle?
Ein halbes Dutzend Menschen, die ich liebe, und ein halbes Dutzend Menschen, die mich lieben. Wenn ich das nicht hätte, würde ich sehr schnell zum Monster werden in dieser Welt.
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