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Aus einem leeren Büro kommt ein Zauber

Berlin soll Football-City werden: Wie Michael Lang als Geschäftsführer eines noch mannschafts- und namenlosen Sport- und Entertainment-Unternehmens versucht American Football auf dem Hauptstadtmarkt zu etablieren  ■ Von Thomas Winkler

Berlin (taz) – Es ist noch gar nicht so lange her, da hat Michael Lang einen Büromöbel-Katalog gewälzt. Vor ein paar Tagen sind die Möbel dann geliefert worden. Das war gut. Noch besser wäre es gewesen, wenn das Büro in der Berliner Kantstraße in der Nähe des Kurfürstendamms da schon fix und fertig renoviert gewesen wäre. So kamen sich die Putzkolonne und die Handwerker ins Gehege und immer noch warten ein paar Computertastaturen darauf, eingestöpselt zu werden. Aber Telefone und Kaffeemaschine funktionieren, und demnächst wird von hier aus ein Sportklub mit einem Budget im zweistelligen Millionenbereich betrieben.

Es ist nicht viel länger her, da war Michael Lang noch Journalist. Jetzt ist er Geschäftsführer eines American-Football-Vereins, der bisher noch keinen einzigen Spieler unter Vertrag hat. Tatsächlich besitzt der Klub noch nicht einmal einen Namen. Den können sich die Berliner momentan im Rahmen einer breitangelegten Werbeaktion selbst aussuchen. Soviel ist immerhin klar: Im April beginnt die neue Saison der NFL Europe, des Ablegers der großen National Football League (NFL) aus dem fernen Amerika. Die Berlin 89ers oder Berlin Blitz – oder wie immer das Team dann heißen mag – werden um den Einzug in das „World Bowl“ genannte Endspiel dieser Liga spielen.

Eine ganze Weile ist es schon her, daß Lang selbst noch Football spielte. Als Tight End bei den Ansbach Grizzlies war er „zu schlecht für die Bundesliga, da haben die mich verprügelt“. Was dem Diplompsychologen nicht die Liebe zum US-Sport vermieste, die er nach dem Studium als Praktikant bei Radiosendern in den USA ausbaute. Nach seiner Rückkehr wurde er 1994 Football-Fachmann beim Deutschen Sportfernsehen (DSF), wo er in den letzten beiden Jahren neben der Moderation der US-Sportsendungen auch im Marketing tätig war.

Als das Angebot der Liga kam, das neu geplante Franchise in Berlin zu leiten, fühlte sich Lang, der immerhin im Nebenfach BWL studiert hatte, „durchs DSF, wo ich auch bei den Sponsorengesprächen dabei war, relativ fundiert eingeführt“ ins Geschäft. Fundiert genug jedenfalls, um nur mit einem Handy ausgerüstet und ohne festen Wohnsitz in Berlin einen Betrieb aus dem Boden zu stampfen, der nur Monate später Millionen bewegen sollte. „Super reizvoll“ fand er die Vorstellung „im leeren Büro zu sitzen und von Null anzufangen und im April Menschen zu haben, die ins Stadion laufen“. Für diese „Gelegenheit, die man nur einmal im Leben kriegt“, München zu verlassen war für den gebürtigen Bayern kein Problem.

Inzwischen kennt man ihn auch schon beim Bäcker in Friedenau, und das von Lang eingestellte, achtköpfige Verwaltungsteam nimmt langsam die Arbeit auf. Eine Werbeagentur, die das neue Produkt Profi-Football auf dem Berliner Markt bekannt machen soll, ist engagiert, und Lang steht in Verhandlungen mit Fußballprofis, die sich wie Manfred Burgsmüller in Düsseldorf als Werbegag verdingen und das Lederei kicken sollen. Die Tage, an denen man „abends in irgendeiner Kneipe irgendein Essen bestellt hat und man sich schon fragte, ob das die richtige Entscheidung war“, die scheinen für den im Branchenjargon General Manager geheißenen Lang vorerst vorbei.

Auch einen Trainer gibt es bereits. Wes Chandler wurde als Spieler mit den San Francisco 49ers einmal NFL-Meister und hat es in seiner bisherigen Laufbahn als Assistenztrainer geschafft, mit drei verschiedenen Teams dreimal die World Bowl zu erreichen und dreimal zu verlieren. Die Berlin Wieauchimmers werden die erste Station als Cheftrainer für den 41jährigen sein, und der 32jährige General Manager vermeldet nicht ohne Stolz, daß er mit Chandler „das jüngste Headcoach-G.M.-Pärchen der Liga“ bildet.

Zusammen will man es „allen beweisen“. Die Spieler dazu kommen vor allem aus den USA. Ein Teil sind Ersatzspieler in der großen NFL, die von ihren Teams abgestellt werden, um Spielpraxis zu sammeln, der Rest ist nach dem College knapp an einer Profikarriere vorbeigeschrammt und träumt nun davon, die große Karriere über den Umweg Europa zu schaffen. Reich wird dabei niemand, das durchschnittliche Spielergehalt für die drei Monate währende Saison liegt unter 20.000 Dollar, ein Taschengeld im Vergleich zu den Millionengagen der Stars in der originalen NFL.

Außerdem wird Coach Chandler demnächst für seinen 43 Mann starken Kader noch sieben oder acht deutsche Spieler finden müssen, die nach einem komplizierten Schlüssel dann auch gewisse Zeiten in den Spielen eingesetzt werden. Das schreibt die Ligasatzung vor, um das Identifikationspotential zu erhöhen. Immerhin hat sich das Niveau der sogenannten „Nationals“ in den letzten Jahren recht vehement dem der Erfinder des Spiels angenähert.

Mit diesem Team will Lang dann, so sagt er, „in Berlin zaubern“. Er träumt von Siegen gegen die deutschen Ligakonkurrenten Düsseldorf Rhein Fire und Frankfurt Galaxy, aber vor allem muß das Team „so gut wie möglich, sportlich und wirtschaftlich, in der Liga etabliert“ werden. Diese Zielvorgabe deckt sich mit der von Langs Arbeitgebern.

Die NFL, die erst kürzlich einen milliardenschweren Fernsehvertrag abschloß, der sie einmal mehr als reichste US-Sportliga etablierte, stößt langsam an die Grenzen des heimischen Marktes. Der erste Versuch der NFL unter dem Namen „World League“ eine zweite Liga zu lancieren, die in den USA die footballose Zeit im Frühling und Sommer überbrücken sollte, schlug Anfang der 90er Jahre fehl. Die Liga mit Teams aus Europa und den USA wurde eingestellt.

Beim Neuanfang 1995 beschränkte man sich auf die alte Welt, investierte über die Jahre geschätzte 100 Millionen Dollar und hatte Erfolg. In Düsseldorf und vor allem Frankfurt strömen die Fans, da lag eine dritte deutsche Filiale nahe. Als das feststand, befürchtete die Frankfurter Rundschau zwar prompt eine „Germanisierung des American Football auf dem Kontinent“, aber als Wirtschaftsunternehmen blickt die NFL in erster Linie auf die Bilanzen. Die sahen in Großbritannien eben schlechter aus als bei den Amsterdam Admirals, den Barcelona Dragons oder den beiden deutschen Klubs.

Während die Scottish Claymores weitermachen dürfen, wurden die England Monarchs liquidiert, die solche Probleme in London hatten, daß sie in ihrem letzten Jahr in einem verzweifelten Versuch, Publikum zu finden, jedes Heimspiel in einer anderen südenglischen Kleinstadt austrugen.

Solch ein Schicksal dürfte Berlin nicht drohen. Bereits Monate vor dem ersten Kick-off besitzt man zwei Fanclubs. Mit Vorbereitungsspielen hat die NFL schon vor Jahren den Berliner Markt getestet, dabei das Olympiastadion gut gefüllt und festgestellt, daß auch hier „viel geht über den Entertainment- Charakter“. So nennt Oliver Luck die Versöhnung zwischen Sport und Show, die die amerikanischen Profi-Ligen erfolgreich vorführen und an der deutsche Vereinsvorsitzenden weiterhin meist erfolglos basteln.

Luck, inzwischen Chef der NFL Europe, leistete in Frankfurt und in Düsseldorf die Aufbauarbeit. Er rechnet damit, daß im ersten Jahr durchschnittlich 12.000 bis 15.000 Zuschauer ins 20.000 fassende, frisch renovierte Jahn-Stadion im Prenzlauer Berg kommen werden. Das ist jedenfalls die offizielle Lesart. Insgeheim hofft man, daß „mehr drin ist“. Auch Lang will „lieber klein anfangen als großmäulig“.

„Gut zwei Drittel“ des sich auf etwa 40 Millionen Dollar belaufenden Gesamtetats der Liga erwirtschaft die NFL Europe momentan schon selbst. Perspektivisch soll die NFL Europe gar auf acht Franchises vergrößert werden. Dann soll aus dem bisher noch gehätschelten Ziehkind der NFL auch längst ein sich selbst tragender Juniorpartner geworden sein, ein Ziel, von dem Luck nicht glaubt, daß es in den nächsten drei bis vier Jahre erreicht werden kann, dem er aber in diesem Zeitraum, auch durch ein erfolgreiches Berliner Team, wesentlich näher kommen will. So hat der ehemalige Football-Profi längst abgecheckt, daß es in Berlin „mit den Sponsoren recht ordentlich aussieht“ und man absurderweise ausgerechnet vom Fußball-Boom profitiert.

Durch die Marktkonzentration sind Werbebemühungen im Fußball-Umfeld für viele Firmen zu teuer geworden. Inzwischen sieht Luck American Football in Deutschland gleich hinter Fußball „in der zweiten Garde von Sportarten“ angekommen. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, daß es noch gar nicht so lange her ist, daß kaum jemand wußte, was Football überhaupt ist.

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