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Ein Unsicherheitsfaktor für Gysi bleibt

■ Gregor Gysi muß mit leichten Verlusten rechnen. In seinem Wahlkreis haben sich zwei Fünftel der Bevölkerung ausgetauscht

Bei aller Zuversicht, daß Gregor Gysi erneut das Direktmandat im Wahlkreis Hellersdorf/Marzahn holt, sehen einige Wahlhelfer dem Ergebnis doch mit einer gewissen Nervosität entgegen. Denn ein Unsicherheitsfaktor bleibt: Seit der letzten Bundestagswahl 1994 hat es im Wahlkreis einen beachtlichen Bevölkerungsaustausch gegeben. 26,7 Prozent der 280.000 Einwohner sind nach Angaben des statistischen Landesamtes seitdem weggezogen. Der Zuzug lag mit 21,5 Prozent deutlich niedriger. Damit haben sich zwei Fünftel der Bevölkerung ausgetauscht.

PDS-Star Gysi muß mit leichten Verlusten rechnen. Bei der letzten Bundestagswahl hatte er in seinem Wahlkreis 48,9 Prozent der Erststimmen geholt, in Marzahn kam er sogar auf 50,4 Prozent. Angesichts der demographischen Veränderungen schätzt die Leiterin von Gysis Wahlkreisbüro, Heidi Wagner: „45 Prozent der Erststimmen sind realistisch.“ Nach einer Emnid-Umfrage lag er Anfang September bei 42 Prozent.

Auch Mia Georgy, PDS-Fraktionsvorsitzende in der BVV Marzahn, stellt fest: „Viele PDS-Wähler ziehen weg. Das merken wir schon an der Mitgliederkartei.“ Wer es sich leisten kann, läßt die Plattenbausiedlungen hinter sich. Sozial Schwache ziehen nach. Doch gibt es auch Neubaugebiete wie die Ringelnatzsiedlung, in deren Reihenhäuser Gutsituierte einziehen. In einigen Gebieten sind zudem Einfamilienhäuser entstanden.

Auch die Zahl der PDS-Mitglieder im Wahlkreis ist leicht gesunken. 1.300 sind es in Marzahn, 765 in Hellersdorf. Die Neueintritte gleichen die Abgänge nicht aus, es fehlt an Nachwuchs.

„Einen Besenstiel kann man hier nicht aufstellen“, meint Heidi Wagner. Auch ein Star wie Gysi muß Einsatz zeigen. Zehn Wahlkampfauftritte und drei Diskussionsforen hat der 50jährige Rechtsanwalt in den letzten Wochen in seinem Wahlkreis absolviert, etwa genau soviel wie vor vier Jahren, so seine Büroleiterin.

In der heißen Wahlkampfphase tourte der Sympathieträger durch die Republik – von Bremen bis Oggersheim warb Gysi um Zweitstimmen. Auf seine Westtournee war die Planung für den Wahlkreis frühzeitig eingestellt, Gysis Auftritte in Hellersdorf und Marzahn wurden entsprechend vorgezogen. Seit November gab es die ersten Gesprächsrunden in Betrieben und sozialen Projekten, mit Unternehmern und dem Arbeitslosenverband. Im Februar und März folgten weitere Wahlkampfforen. Dennoch war die Nachfrage nach Gysi so groß, daß nicht alle Terminwünsche erfüllt werden konnten, stellt Wagner fest. Doch die Basis zeigt Verständnis. „Nur Gysi kann die Vorurteile im Westen abbauen“, meint ein PDS-Anhänger. „Hier kennt ihn doch jeder.“

Seit acht Jahren vertritt Gysi den Wahlkreis im Bundestag und ist auch während der Legislaturperiode vor Ort präsent. Zu den monatlichen Bürgerforen, bei denen Gysi den „Bericht aus Bonn“ abgibt, kommen 150 bis 300 TeilnehmerInnen. In die Bürgersprechstunde des PDS-Politikers drängen manche, die ihn im wahrsten Sinne des Wortes für „ihren Anwalt“ halten. Sie kommen nicht mit einem politischen Anliegen, sondern hoffen auf eine kostenlose Rechtsberatung. Zwar sagt auch PDS-Fraktionschefin Mia Georgy: „In der heißen Phase hätten wir ihn gerne mehr hiergehabt.“ Doch glaubt sie nicht, daß sich Gysis intensive Westtournee negativ im Wahlergebnis niederschlagen wird. Dorothee Winden

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