„Tolle Motivation“, die 60 Prozent

■ SPD und Grüne haben in allen Stadtteilen die absolute Mehrheit. Ein Bekenntnis zum Wechsel aber fehlt

Mit insgesamt 201.512 Stimmen oder 50,2 Prozent hat die SPD in Bremen ein Spitzenergebnis bei dieser Bundestagswahl erhalten. Die Stimmen reichen aus, um alle drei Kandidaten der SPD auch über die Landesliste sicher in den Bundestag zu bringen. Bremen hat die rot-grüne Mehrheit also nicht noch durch ein Überhang-Mandat aufgebessert, diesen Erfolg kann man auch von der Kehrseite her betrachten: „Die SPD hat zuviele Zweitstimmen bekommen“, sagt der Wahlsystem-Kritiker und Jurastudent Wilko Zicht dazu. Seine Rechnung: Wenn die Sozialdemokraten knapp 30.000 weniger Zweitstimmen im Lande Bremen bekommen hätten, dann hätte die Bremer Landesliste einen Platz weniger beansprucht, dafür wäre Kerstin Raschke aus Berlin in den Bundestag gekommen, die Frau, die gegen Gregor Gysi angetreten ist. Der dritte Bremer SPD-Sitz wäre dank der Erststimmen als Überhang-Mandat erhalten geblieben, die SPD also bei 299 Sitzen und nicht nur bei 298 gelandet. „Beinahe hätte es sogar Wolfgang Thierse erwischt“, sagt der Wahlsystem-Kritiker Zicht. Rechnet man dem SPD-Ergebnis das 11,2-Prozent-Ergebnis der Grünen hinzu, die sich entgegen dem Bundestrend um 0,2 Prozent verbessern konnten, dann liegt „Rot-Grün“ in Bremen klar über 60 Prozent. Über die ganze Stadt Bremen verteilt holte die SPD dabei Stimmergebnisse, die an die Zeiten der absoluten Mehrheit erinnern: Eine satte absolute Mehrheit hat sie im Südosten in Habenhausen (58%), Kattenturm (56%) und Arsten (54%), im Osten in der Neuen Vahr-Nord (56%), in Osterholz (56%), Blockdiek (59%), in Arbergen/Mahndorf holte sie 58 Prozent, in Woltmershausen/Rablinghausen 59 Prozent, in den traditionellen SPD-Hochburgen im Bremer Westen ebenso: Gröpelingen ist mit 63 Prozent Spitze. In Bremen-Nord scheint niemand die Vulkan-Pleite der SPD übel genommen zu haben, Bremerhaven bietet dasselbe Bild, der Wahlkreis Bremen-Nord/Bremerhaven kommt auf insgesamt 54,18 Prozent. Strukturell schwach scheint die SPD dagegen vor allem in Stadtteilen, deren Sozialstruktur die Grünen begünstigt: Im Steintor sind die Grünen stärkste Partei (38,5%), die SPD liegt dahinter nur bei 33, die CDU schafft gerade 13 Prozent. Im Ostertor dasselbe Bild: Grüne (37,5%) vor SPD (32,4%), für die CDU bleiben 14 Prozent. In Stadtteilen wie Findorf-Bürgerweide hat die SPD „nur“ 48 Prozent, dafür holten die Grünen 21 Prozent. In Peterswerder hat die SPD „nur“ 40 Prozent, die Grünen kommen auf 27 Prozent. In Schwachhausen liegt zwar ausnahmsweise die CDU vorn (32%), SPD und Grüne zusammen (27% und 24%) hätten dennoch eine absolute Mehrheit. Weder die SPD noch die Grünen sehen in diesem Ergebnis aber einen Auftrag für eine neue Politik im Bremer Rathaus. „Tolle Motivation“ sei das, fand der grüne Landesvorstands-Sprecher Hucky Heck, ein „positives Signal“. Die Wähler haben aber vermutlich nicht irgendwen motivieren, sondern die Regierung wählen wollen. K.W.