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Plötzliche Milde in Bayern

Staatsanwaltschaft stellt serienweise Verfahren gegen Mahnwache AKW Gundremmingen ein. Begründung: die verstrahlten Castor-Transporte  ■ Aus Memmingen Klaus Wittmann

Volker Nick kann es kaum fassen. Jahrelang flatterten ihm Anklagen der Memminger Staatsanwaltschaft wegen seiner „Schienenblockaden“ vor Deutschlands größtem Atomkraftwerk, Gundremmingen, ins Haus. Immer wieder mußte er sich vor Gericht verantworten. Doch plötzlich ist alles ganz anders. Obwohl ihm der Vorsitzende Richter Manfred Worm bei der letzten Verhandlung im Wiederholungsfalle noch eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung androhte, erhielt er jetzt eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft. Ähnlich erging es etwa 25 weiteren Demonstranten und Mitgliedern der „Mahnwache Gundremmingen“.

„Das ist ein Kurswechsel um 180 Grad“, kommentiert Volker Nick die Einstellungsverfügungen. „Ich habe ein bißchen die Hoffnung, daß alles, was wir die letzten Jahre vorgetragen haben, vielleicht doch angekommen ist: warum nämlich ein Atomkraftwerk unsicher ist, warum die Transporte unverantwortlich und gefährlich sind.“ Tatsächlich bestätigt der Chef der Memminger Staatsanwaltschaft, Peter Stoeckle, daß ein gewisser Umdenkprozeß in der Staatsanwaltschaft stattgefunden habe.

Durch die neuen Umstände, also das Bekanntwerden der Verstrahlung von Castor-Behältern, hätten sich eben auch neue Gesichtspunkte ergeben, sagte Stoeckle. Man müsse dies im Zusammenhang mit den Argumenten der Demonstranten sehen, die dadurch ein ganz anderes Gewicht bekämen. „Daß tatsächlich eine Verstrahlung vorhanden ist, ist sicherlich in unsere Entscheidungen mit eingeflossen“, gab Stoeckle gestern zu. Ein Freibrief für künftige Aktionen seien die Einstellungsverfügungen freilich nicht.

Aber die Staatsanwaltschaft Memmingen ist offenbar entschlossen, genauer als bisher zu prüfen und längst nicht mehr jede Aktion strafrechtlich so konsequent wie bisher zu verfolgen. Mit zum Sinneswandel der Strafverfolger beigetragen hat nach Ansicht der Mahnwache-Mitglieder auch die Tatsache, daß jede ihrer Aktionen zuvor beim Landratsamt und bei der zuständigen Polizeidirektion Krumbach angemeldet wurde. Selbst die Polizeiführung attestierte den Demonstranten immer wieder, daß sie hehre Ziele verfolgen und absolut zuverlässig seien.

Die Revision in einem noch anhängigen Verfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht gegen den ehemaligen Mahnwache-Sprecher Koni Link werde aber derzeit nicht zurückgezogen. „Wir werden entscheiden, was zu tun ist, wenn das Urteil vorliegt“, sagte Stoeckle. Koni Link wurde schon mehrfach wegen seiner gewaltfreien Blockaden verurteilt. Die letzte Haftsrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

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