piwik no script img

Kunst und Leben verbinden

■ Gesichter der Großstadt: Für Galeristin Eva Poll ist Kunst Teilhabe am Zeitgeschehen. Noch zum 30jährigen Ausstellungsjubiläum ist ihr die realistische Malerei so wichtig wie in den 60er Jahren

Der Rückstau der Gratulanten reichte bis auf die Straße – so voll war es in der Galerie Poll am Lützowplatz. Vor fast 30 Jahren, am 8.Oktober 1968, eröffnete Eva Poll ihre ersten eigenen Ausstellungsräume in der Charlottenburger Niebuhrstraße mit Arbeiten des Berliner Malers Peter Sorge. Heute, zwei Ortswechsel und rund 250 Ausstellungen später, kennt die Sechzigjährige mit dem Kurzhaarschnitt das Auf und Ab der unterschiedlichen Kunstströmungen wie kaum eine andere.

Seit ihren Anfängen engagiert sich Eva Poll für die verschiedenen Spielarten des Realismus – und stand damit bisweilen recht allein. „Mal ist die eine Richtung im Vordergrund, mal die andere“, sagt Eva Poll, das müsse man „ganz gelassen sehen“. Allerdings kann sie dabei auch eine gewisse Genugtuung nicht verhehlen. Den Umstand, daß gegenwärtig wieder viele junge Künstler auf dem Gebiet der figurativen Kunst arbeiteten, nimmt sie als Bestätigung: „So falsch kann es nicht gewesen sein, daß man daran festgehalten hat.“

Künstler, die „im Elfenbeinturm sitzen“, haben sie nie interessiert. Um Abstraktion, Konzeptualismus oder Performance-Kunst sollten sich andere kümmern. Eva Poll dagegen ist sich und der realistischen Malerei treu geblieben, nicht zuletzt deshalb, weil Kunst für sie eine Teilhabe am Zeitgeschehen bedeutet. „Die Trennung von Kunst und Leben habe ich nicht vollziehen wollen.“

Als die gebürtige Aachenerin, die 1963 nach Berlin übersiedelte, begann, Ausstellungen zu organisieren, stellten sich die Dinge so eindeutig nicht dar. Zwar prangerten die Künstler, die sie damals in ihrer Galerie vertrat, virulente politische Mißstände an, malten Bilder gegen Vietnam, den Paragraphen 218 und die Manipulation in den Medien. Dennoch wurde die Beschäftigung mit Kunst im allgemeinen von den revolutionären „68ern“ als tendentiell bourgeois erachtet. Inzwischen weiß man es besser, und Bilder von Ulrich Baehr oder Peter Sorge gelten als authentische Zeitzeugnisse.

Der Start der Galerie, die seit fast 20 Jahren am Lützowplatz residiert, war eng verknüpft mit dem Ende eines Ausstellungsortes, der selbst in die jüngere Kunstgeschichte eingegangen ist. Als die Künstlerselbsthilfegalerie Großgörschen 35 schließen mußte, wechselten viele der dort heimischen Maler und Bildhauer zu Eva Poll, darunter so namhafte Künstler wie Markus Lüpertz, Bernd Koberling und Karl Horst Hödicke. Die Verbindungen hatten freilich schon eine Weile bestanden und waren familiär bedingt: Polls Ehemann, der Anwalt und spätere Tagesspiegel-Herausgeber Lothar Poll, war Geschäftsführer der Großgörschen 35.

Darüber hinaus setzte sich Eva Poll in dem Bewußtsein, daß „Kunst eine starke Lobby braucht“, immer auch für kulturpolitische Belange ein. Die studierte Pädagogin war Mitbegründerin und von 1976 bis 1982 Vorsitzende der Interessengemeinschaft Berliner Kunsthändler, saß außerdem vorübergehend im Kunstbeirat des Kultursenators. Entsprechend kritisch betrachtet sie die aktuelle Situation, die von Konflikten zwischen den „sogenannten Avantgarde-Galerien“ und den alteingesessenen geprägt sei.

Um so bemerkenswerter, daß Eva Poll anläßlich des 30jährigen Galeriejubiläums die Repräsentationshoheit über ihre Tätigkeit an eine Außenstehende abgegeben hat. Für die Ausstellung „Oktober 68 – 30 Jahre Galerie Poll“ zeichnet nicht sie verantwortlich, sondern die Kunstjournalistin Annette Tietenberg, die dem Alter nach Polls Tochter sein könnte. Sie wollte jemanden mit „unverbrauchten Blick“ holen, sagt Poll. So werden nun am Lützowplatz Arbeiten aus dem Gründungsjahr der Galerie gezeigt. „Oktober 68“ ist eine Ausstellung, die eine erstaunliche Stilvielfalt dokumentiert. Ulrich Clewing

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen