■ Wahrheit-Reporter vor Ort: Auf der Pirsch mit Deutschlands erstem Nacktförster: Natürliches Waidwerk
Auf den ersten Blick sieht Joachim Conrad (52) nicht gerade wie ein Bilderbuchförster aus, denn bis auf einen lodengrünen Gamsbarthut, ein schweres Paar Lederstiefel und einen vor der Brust baumelnden Feldstecher ist er nackt. Es ist vier Uhr morgens. Im idyllisch gelegenen Zippelsförde, zwischen Neuruppin und Rheinsberg, herrscht noch tiefe Dunkelheit. Hier, in der Ruppiner Schweiz, befindet sich Joachim Conrads Revier. Der Mann ist Förster, allerdings kein gewöhnlicher. Er ist Deutschlands erster Nacktförster.
„Auf die Idee gekommen bin ich, als ich im Fernsehen einen Beitrag über diese neumodischen Nacktputz-Agenturen gesehen habe“, sagt er, nimmt einen Eimer Kastanien auf, schultert die Flinte und schreitet rüstig aus. „Da habe ich mir gedacht, wenn das der neue Trend im Dienstleistungsgewerbe ist, dann bin ich dabei! So rückständig, wie man uns nachsagt, sind wir hier nämlich gar nicht.“
In den höheren Etagen der Forstverwaltung ist Conrad mit seinen Plänen zunächst auf Unverständnis gestoßen: „Die haben mir das verboten. Da bin ich einfach ohne Erlaubnis losgezogen. Im Adamskostüm. Die Zeitschrift Sonnenfreunde hat einen Exklusivbericht darüber gebracht. Dann wimmelte es hier plötzlich von Touristen, die mich sehen wollten. Vorher hatten wir hier eine Arbeitslosenquote von 38 Prozent. Seit ich als Nacktförster arbeite, ist das Dorf so gut wie saniert!“
Tatsächlich haben sich uns schon mehrere Schaulustige mit Film- und Fotoausrüstungen an die Ferse geheftet. Wir betreten den Wald. An den Anblick des nackten Försters scheinen sich die Tiere bereits gewöhnt zu haben. Die Vögel tschilpen und tirilieren, als hätten sie nichts gesehen, Meister Lampe verrichtet friedlich seine Morgentoilette, und in einiger Entferung trabt ein Rehbock durchs Gehölz. Als sich der Frühnebel lichtet, haben wir eine Wiese erreicht. Hier schüttet Joachim Conrad den Kastanieneimer aus. „Für die Wildschweine“, erklärt er. „Die sollen ja auch nicht leben wie die Hunde.“
Bis vor kurzem ist die Idee der Nacktförsterei noch auf scharfe Kritik gestoßen. Vor allem in kirchlichen Kreisen, aber auch in verschiedenen Forstämtern wurde Front gegen Conrad gemacht. Freikörperkultur, hieß es, sei mit waidmännischer Würde nicht zu vereinbaren. „Lachhaft“, sagt Conrad. „Die Natur und ich, wir haben nichts voreinander zu verbergen. Wenn ich nackt bin, werde ich doch erst richtig eins mit der Natur! Für mich ist das eine mystische Grenzerfahrung!“
Er breitet die Arme aus, schließt die Augen und atmet tief und feierlich ein. Ein Bild für die Götter, das sich die zahlreichen Amateurfilmer nicht entgehen lassen. Ein einzelnes, silbergraues, fingerlanges, in einer Warze auf dem Oberbauch des Försters verwurzeltes Haar zittert leicht im Wind. In der grüngrauen Dämmerung nimmt sich er rosarote Försterkörper noch etwas befremdlich aus. Vor der Kälte, die sein Geschlechtsorgan auf Walnußgröße hat schrumpfen lassen, schützt ihn eine zwischen Brust und Becken gelagerte Schwarte.
Später wird Joachim Conrad, nach langem Ansitzen, noch ein wilderndes Wiesel erschießen und befriedigt heimkehren, mit Harzflecken und Hochsitzpartikeln am Po. Waidwerk und Nudismus – lange sind sie verfeindete Brüder gewesen. Jetzt, so sieht es aus, finden sie endlich zueinander.
Im Raum Neustrelitz, in der Ueckermünder Heide und im Forst Straupitz soll es seit neuestem ähnliche Bestrebungen geben. Nähere Auskünfte erteilt das brandenburgische Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung (Tel. (0331) 8660). Gerhard Henschel
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