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Unverfroren dröge Story

■ Bremerhavens Stadttheater sah peinliche Premiere des Auftragsmusicals „One Night – Elvis in Bremerhaven“

Seine Ankunft war in der Stadt zum Ereignis des Jahres hochgepuscht worden. 40 Jahre, nachdem der King of Rock'n'Roll als braver Soldat seine Füße auf europäischen Boden setzte, wurde der ge-schichtsträchtige Schritt in Bremerhaven mit vier Elvis-Tagen gefeiert. Höhepunkt dieses Festivals sollte die Uraufführung eines vom Stadttheater eigens zu diesem Anlaß in Auftrag gegebenen Musicals werden. Aber was der Bremer Autor Uwe Nielsen abgeliefert hat, verdient nicht entfernt den Namen Musical. Es ist eine Aneinanderreihung von Elvis-Hits, die von einer jämmerlich dünnen Story ohne Biß und Witz notdürftig zusammengehalten wird.

Da kommt Elvis singend von Bord an Land und verschwindet augenblicklich im Traum von Angela. Angela, eine junge Fishtown-Göre, hat vor lauter Traum keinen Blick mehr für den armen Freund Holger, der deshalb in den folgenden zwei Musical-Stunden abtaucht, um ihr am Ende wieder die Hand zu reichen. Was darf der Star im Traum von Angela treiben? Sie sagt hysterisch kieksend: „Elvis ist mein Traum! Ich glaub' es nicht.“ Der gute Junge aus Amerika schenkt ihr einen Teddy-Bär, den sie fast bis zum Schluß in den Armen hält. Sie: „Du mußt mir alles von dir erzählen.“ Er: „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Zuerst war ich Kraftfahrer, jetzt bin ich Sänger.“ Gemeinsam besuchen sie eine Hafenbar im Rotlicht-Milieu (bitte nicht vergessen: Alles ist Traum!), dort singt eine alte Puffmutter Lale Andersens Lied von der Laterne (hat ja auch was mit Bremerhaven zu tun). Dann steigt Elvis ein und tanzt auf dem Tresen Rock'n'Roll. Daß das „Chicago Place“, so der Kneipen-Name, ein legendäres Jazzlokal war und die Stadtgeschichte hier umstandslos verrramscht wird, sei nur angemerkt.

Die wenigen Dialoge zwischen den Elvis-Nummern ächzen und knirschen. Höhepunkt der Peinlichkeit ist ein grauhaariger Daddy (Klaus Damm), der als maritimer Moderator mit Akkordeon auftritt und als hausbackener Seestadtprediger im gespreizten Märchenonkelton von Traum und Wirklichkeit schwadroniert. Sein bester Satz: „Elvis in Bremerhaven. Eine wunderbare Lüge“ wird permanent und penetrant gedreht und gewendet, bis dem letzten Dumpfschädel klar ist, daß wir hier alle – und nicht nur Angela – gewaltig am Träumen sind. Aber „wer das Feuer des Traums verliert ...“. Unsoweiterundsofort.

Der dünne Musical-Traum (Regie: Andreas Lachnit, Bühne: Eckehard Kröhn) war spätestens nach fünf Minuten geplatzt, wären nicht die zündende Musik und die beiden Protagonisten. Hans Nebelung als Elvis und Kaatje Dierks als Angela, das sind vor allem zwei sichere und kräftige Stimmen. Nebelung hat sich als FranknFurter in der „Rocky Horror Show“ in die Herzen der Bremerhavener gesungen. Mit viel Gefühl, sehr unverkrampft und ohne überzogenes Imitatorenspiel gelingen ihm am besten die weichen Schmachtfetzen „I can't stop loving you“, „In the Ghetto“, Love me tender“. Die große Überraschung des Abends ist seine Partnerin Kaatje Dierks, die mit einer sehr wandlungsfähigen und starken Stimme Elvis in ihrem einzigen Solo glatt an die Wand singt.

Fazit: Zwei Stimmen und eine herausragend gute Rockband – live auf der Bühne (musikalische Leitung: Peter Stolle und Lars Hierath) – machten den Abend zum musikalischen Genuß. Das sogenannte Musical löste sich dabei in nichts auf. Das Stadttheater hat eine Chance glatt vertan. Uwe Nielsen hätte von dem Hamburger Filmemacher lernen können, der vor genau 20 Jahren mit dem Fernsehfilm „Als Elvis nach Bremerhaven kam“ gezeigt hat, wie der sanfte Rock'n'Roll-Rebell mit dem anstößigen Hüftschwung eine verschlafene Nachkriegsgesellschaft unterwandert. Aber die begeisterungsfähigen Fishtowner haben die unverfroren dröge Story einfach ignoriert und mit Beifallsstürmen ihren Elvis gefeiert, der zum Schluß im weißen Dress von der Showtreppe steigt und im Bühnennebel als wiederauferstandene Lichtgestalt seinen legendären Las-Vegas-Auftritt wiederholt.

Hans Happel

Die nächsten Aufführungen im Großen Haus des Stadttheaters Bremerhaven: 7. u. 9.10. 20 Uhr; 11.10. 15 Uhr; 18.10. 19.30 Uhr. Kartenvorbestellung unter Tel.: 0471/ 49 00 1

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