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Gerhardt schneidert sich die FDP-Fraktion zurecht

■ Parteichef Gerhardt will Fraktionsvorsitz übernehmen und düpiert den Querkopf Möllemann

Berlin (taz) – Es sollte eine Absprache unter Freunden werden, hatte Wolfgang Gerhardt kurz nach der Wahl öffentlich erklärt. Nun haben sich Hermann Otto Solms, der bisherige Fraktionschef der FDP im Bundestag, und sein Parteichef geeinigt. Solms soll FDP-Bundestagsvizepräsident werden, Gerhardt übernimmt von ihm den Vorsitz der Fraktion. Allgemein wurde gestern nachmittag, während der Wahlvorgang in der 44köpfigen Fraktion in Bonn andauerte, mit einer Bestätigung Gerhardts als Fraktionschef gerechnet. Pikanterweise hatte Gerhardt kurz zuvor über seinen Sprecher verlauten lassen, nur drei Stellvertreter für den Fraktionsvorsitz der um drei Mandate geschrumpften Fraktion vorzuschlagen: den noch amtierenden Außenminister Klaus Kinkel, Rheinland-Pfalz' Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Sachsen-Anhalts FDP-Chefin Cornelia Pieper. Einen vierten Vorschlag, der nach der Satzung möglich gewesen wäre, unterließ er. Kühl ließ Gerhardt darauf hinweisen, die nordrhein-westfälischen Freunde könnten ja ihren FDP-Landesvorsitzenden Jürgen Möllemann ins Rennen schicken – wenn sie denn wollten. Ob der frühere Bundeswirtschaftsminister, der vor der Bundestagswahl wiederholt für eine Kehrtwendung seiner Partei hin zur SPD plädiert und damit den Zorn der Parteispitze um Gerhardt und Generalsekretär Westerwelle erregt hatte, darauf eingeht, war bei Redaktionsschluß offen. Daß er Ambitionen auf den Stellvertreterposten hegt, hatte er auf der Fraktionssitzung vergangene Woche deutlich gemacht.

Mit Brüderle, dessen Partei in Rheinland-Pfalz zusammen mit der SPD regiert und mit 7,1 Prozent bei der Bundestagswahl ein durchaus respektables Ergebnis erzielte, hat Gerhardt den traditionell starken südwestdeutschen Flügel der Liberalen eingebunden. Mit Pieper wurde der Osten bedacht. Immerhin kann die FDP, die im Osten durchweg zwischen zwei und knapp über drei Prozent verbuchen konnte, in Sachsen-Anhalt schon von einer Hochburg sprechen: Piepers Landesverband erzielte hier zuletzt 4,1 Prozent, nur 0,1 Prozent weniger als bei der Landtagswahl vor knapp einem halben Jahr – und plazierte sich zur Freude des Bonner Thomas-Dehler-Hauses deutlich vor den Grünen. Ein wenig Hilflosigkeit drückt auf der Personalliste Gerhardts die Nominierung Klaus Kinkels aus. Die Geste des Dankes kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Kinkels Fall tief ist: vom Außenminister zum – mehr oder weniger bedeutungslosen – Fraktionsvize. Doch Kinkels Alternativen in der Partei sind, nach seinem glücklosen Abgang als Parteichef 1995, begrenzt. So ist es kaum noch verwunderlich, daß die Stimmen in der FDP nicht verstummen wollen, die ihn als Kandidaten für das Europaparlament vorschlagen. Damit wäre Kinkel fern der Bonner Machtzentrale, zu der sich die FDP-Fraktion unter Gerhardt entwickeln wird. Guido Westerwelle, von dem nach der Wahl kaum etwas zu hören war, meldete sich gestern zurück. „Mit Freuden“ werde er die FDP nach 29 Jahren Regierungsbeteiligung als Generalsekretär in der Opposition führen. Severin Weiland

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