: Öko-Korrekturen
Weg vom Pop: In „About A Boy“ nimmt Nick Hornby das hedonistische Leben eines Thirtysomethings auseinander ■ Von Detlef Kuhlbrodt
Nick Hornby ist ein Star. Seine Romane „Fever Pitch“ und „High- Fidelity“ sind nicht nur Bestseller, sondern wurden auch gleich verfilmt. Dabei berichten die Romane des 41jährigen von Londoner Großstadtmenschen, die ihr Leben einer Leidenschaft gewidmet haben – dem Fußball in „Fever Pitch“, der Popmusik in „High Fidelity“. Seine Helden sind Fans, die stolz darauf sind, sich auch noch in den entlegensten Verästelungen ihres Interessengebietes auszukennen; Snobs und Dandys der Popkultur, die sich über ihre verfeinerten Lüste definieren; Skeptiker eigentlich, die statt im Authentizitätskitsch lieber in ausgesuchten Zitaten leben, aktive Konsumenten der Moderne, die – gerade in „High Fidelity“ – ihre eigene Komplexität in der Komplexität der Kulturgüter finden, die sie konsumieren; Singles, meist mit unklaren oder eher beiläufigen Erwerbsbeschäftigungen, die zitternd eine Cassette aufnehmen, anstatt ihrem neuen Schwarm eine Liebeserklärung vorzustammeln.
Eigentlich schreibt Hornby recht konventionelle Entwicklungsromane, in denen die Helden, die ihr Verhältnis zu anderen über die Ähnlichkeit ihrer Vorlieben zu bestimmen pflegten, Mitte Dreißig plötzlich entdecken, daß die Dinge, über die sie sich definiert hatten, zur Identitätsbildung nicht mehr taugen. Sie lernen, daß es auch sympathische Leute gibt, die sich nicht oder nur beiläufig (was das gleiche ist) für Fußball oder Popmusik interessieren; Menschen, die Tina Turner hören und dennoch nicht emotional total verarmt und verblödet sind. Die existentiellen Dinge des eigenen Lebens, die komplizierte Liebe, der Tod oder – wie in Hornbys neuestem Roman „About A Boy“ – ein kleiner, unmöglich angezogener Junge, führen seine Helden aus ihren slackermäßigen und poporientierten Lebensstilnischen in die unpathetische Normalität.
Nach diesem Schema funktioniert auch „About A Boy“. Will Freeman (nomen est omen), ein lebensstilbewußter Single Mitte Dreißig, ernährt sich von den Tantiemen seines verstorbenen Vaters, der mal einen kitschigen Weihnachtshit („Santa's Super Sleigh“) komponiert hatte, der sich als Klassiker auf allen Christmassong-CDs findet. Menschen, die die Dinge ernst nehmen, sind ihm ein Greuel. Er lebt statt dessen ein eher unverbindliches Leben.
In seiner ersten Szene füllt er den Coolheitstest in einem Männermagazin aus: Er hat in den letzten drei Monaten mit einer Frau geschlafen, die er nicht besonders gut kannte, er hatte über zwanzig Pfund für einen Haarschnitt ausgegeben, er besaß mehr als fünf HipHop-Alben, er hatte Ecstasy genommen, hatte niemals ein Kondom mit Geschmack benutzt, wollte bei der nächsten Wahl Labour wählen, verdiente über vierzigtausend Pfund im Jahr, ohne sonderlich viel zu arbeiten usw. usf. Will Freeman ist also supercool. Verliebte Freunde gelten ihm als Menschen, „die ein neues Jackett, eine Tüte Gras und nachmittags eine Wiederholung von ,Detektiv Rockford – Anruf genügt‘ plötzlich nicht mehr ausfüllte.“ Seine Freunde, die eine Familie gründen oder Kinder kriegen, verachtet er naturgemäß ein bißchen.
Sein Leben verändert sich, als er zum ersten Mal mit einer alleinerziehenden Mutter eine Liebesbeziehung hat, die optimal verläuft. Selbst die Trennung gestaltet sich freundlich. So beschließt Will, sich von nun an affärentechnisch auf alleinerziehende Mütter zu konzentrieren. Weil die aber nur selten in freier Wildbahn herumlaufen, erfindet er sich einen Sohn und eine Frau, die ihn schmählich im Stich gelassen hat und schließt sich einer Selbsthilfegruppe alleingelassener Elternteile an. So lernt er Fiona und deren 12jährigen Sohn Marcus kennen. Fiona ist eine depressive Späthippiefrau und Musiktherapeutin, die moderne Popmusik wg. Konsumismus verachtet, tagaus tagein Joni Mitchell hört, aus prinzipiellen Gründen kein Fleisch ißt, irgendwann auch mal versucht, sich umzubringen, und durch ihre ökokorrekte Erziehung ihren Sohn zum Außenseiter macht, den andere Kinder gerne terrorisieren.
Zwar ist sie nicht unbedingt Wills Typ, dafür mag Marcus Will recht gerne und freundet sich mit ihm an. Widerwillig läßt sich Will in das Leben der beiden ziehen, erklärt dem Jungen, wer Kurt Cobain ist und andere Dinge, die ein junger Teenie wissen muß, will er sich nicht weiterhin zum Gespött seiner Mitschüler machen.
Irgendwann findet Marcus heraus, daß Will in Wirklichkeit gar keinen Sohn hat. Der Skandal ist so groß wie auch lehrreich. Besonders schön ist auch, wie sich diese ganzen netten geschiedenen Mütter, Väter, Großeltern und Singles zu Weihnachten über ihren Haschkonsum streiten oder ein prima vernachlässigtes Punkmädchen am Todestag von Kurt Cobain die Scheibe eines mit Kurt-Cobain- Pappfiguren geschmückten Plattenladens zertrümmert, weil sie denkt, deren Besitzerin wolle am Tod ihres Helden verdienen.
Am Ende haben alle was gelernt: Will hat begriffen, daß erfundene Biographien in der Realität allerlei Probleme machen und daß Erwachsensein heißt, für andere Verantwortung übernehmen zu können, was ja auch ganz schön sein kann (zur Belohnung bekommt er am Ende dann doch eine Frau); der kleine Marcus, den Hornby manchmal doch etwas zu klug reden läßt, verhält sich nun teenagergemäß und hört statt Joni Mitchell nun HipHop und Grunge und rennt in Sneakers durchs weitere Leben; Fiona gehts nun auch wieder besser.
Zwar nervt Hornbys Moral ein bißchen; auf der anderen Seite machen seine Milieuschilderungen sehr viel Spaß. Um so mehr, als es in Deutschland bislang keine Romane gibt, die in diesem so unheroischen wie sympathischen Milieu popsozialisierter Slacker Mitte Dreißig spielen, das die taz am Leben hält und letztlich ja auch für die glorreiche rot-grüne Koalition gesorgt hat.
Nick Hornby: „About A Boy“. Kiepenheuer & Witsch, 309 Seiten, 39,80 DM
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