Stimmen-Kuhhandel beim Sturz Prodis

■ In Italien ist die Bildung einer neuen Regierung von politischen Verschiebungen geprägt. Die Liga Nord will jetzt ins Kabinett

Rom (taz) – Noch konfuser als vorhergesagt bietet sich das politische Bild Italiens nach dem Sturz der Regierung Prodi dar. Der Chef der Neokommunisten, Fausto Bertinotti, der mit seinem Auszug aus der Koalition die Krise ausgelöst hatte, schlägt ungerührt vor, Prodi solle erneut Ministerpräsident werden und dafür eben ein anderes Haushaltsgesetz vorlegen, dem auch die Rifondazione comunista zustimmen kann. Demgegenüber setzen die anderen Parteien der bisherigen Koalition auf Interimslösungen: Das würde auf die Bildung eines von einem Technokraten wie Haushaltsminister Carlo Azeglio Ciampi, Außenminister Lamberto Dini oder von Europakommissar Mario Monti geleitetes Kabinett hindeuten; aber auch dem früheren Ministerpräsidenten Giuliano Amato werden Chancen eingeräumt. Die Opposition fordert kompromißlos Neuwahlen, der frühere Staatspräsident Francesco Cossiga, der eine neugegründete Formation namens UDR führt, ist für eine große Koalition.

Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro sucht die Regierungsbildung möglichst zu beschleunigen: Sein Mandat läuft im Frühjahr 1999 aus, und nach der Verfassung darf in den letzten sechs Monaten vor der Neuwahl das Parlament nicht aufgelöst werden. Bekommt er nun nicht rechtzeitig eine ordentliche Regierung ins Amt, muß Italien mehr als ein halbes Jahr mit einer Art Notregierung leben.

Inzwischen wurde eine Reihe merkwürdiger Vorgänge um die Abwahl von Prodi bekannt. So hat ein Abgeordneter der Liga Nord, derzeit in der Opposition, dem Regierungschef wenige Minuten vor der Abstimmung die Voten der Liga zu seiner Rettung angeboten – wenn Prodi dafür zusage, daß die Liga die Oberherrschaft über einen der drei staatlichen Fernsehkanäle bekomme und die Region Lombardei ein Autonomiestatut erhalte, wie es Sizilien und das Gebiet um Bozen innehaben. Die Meldung wurde zunächst von Liga-Chef Umberto Bossi wütend dementiert, doch inzwischen hat sich ein Abgeordneter seiner Partei als Überbringer dieses, von Prodi zurückgewiesenen, Kuhhandelsangebotes geoutet.

Noch beunruhigender ist ein anderer Vorfall: Der Abgeordnete, der mit seinem erst im letzten Moment bekanntgegebenen „Nein“ Prodi effektiv zu Fall brachte, hat eine gelinde gesagt undurchsichtige Biographie: Gewählt über die „Forza Italia“-Liste des heutigen Oppositionsführers Berlusconi, war er vor einem Jahr plötzlich zu dem in der Regierung sitzenden „Rinnovamento italiano“ von Außenminister Dini übergetreten. Doch dann hatte er sich angeblich wieder daran erinnert, „woher“ er kam, und gegen Prodi gestimmt.

Besonders mißtrauisch macht Beobachter dabei, daß der Mann ein ums andere Mal betont, er sei Sizilianer, seine Familie lebe dort, sein Sohn arbeite in Palermo: Im Regelfall eine eindeutige Mitteilung an die dortige „Ehrenwerte Gesellschaft“, er habe hier eine Leistung vollbracht, für die sie sich dankbar zeigen sollte. Immerhin: Einen sicheren Wahlkreis hat ihm Berlusconi – dessen Firmen in Sizilien in allerlei Mafiaprozesse verwickelt sind – nun bereits wieder versprochen. Werner Raith