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■ Reinhard Mohr, Meister der evident getunten, Lichtlöcher ins Dunkel reißenden Formulierungen, schlägt in der neuen Ausgabe des „Spiegel“ wieder einmal seine Stirn in FaltenWenn's Föjetooglöcklein bimmelt

Viele Leute leiden heute, weil ihnen das Gspusi fremdgeht oder weil Ebbe ist in der Kasse.

Oder sie leiden an einem verfaulenden Zahn. Oder, wie die Flüchtlinge in Südrestjugoslawien, an der Feigheit der Nato. Denn würde diese Hilfsorganisation Belgrad bombardieren, dann bräche augenblicks der Wohlstand aus beim albanisch sprechenden Landproletariat in der Gegend namens Kosovo. Wie immer und überall alles besser wird nach einem Bombardement.

Leiden an ihren Sorgen tut heute auch die Zeitschrift Spiegel. Auf vier, lediglich von einer Anzeige für ein Hämorrhoidenmittel unterbrochenen Seiten schlägt der für seine evident getunten, Lichtlöcher ins Dunkel reißenden Formulierungen berühmte Autor namens Reinhard Mohr die Stirn in Falten: „Rot-Grün, die linke Opposition ist an der Macht. Wie verhält sich nun die intellektuelle Boheme? Was tun die Großmeister des kritischen Diskurses? Kommen sie ohne ihr vertrautes Feindbild vom ewigen Kanzler über die Runden?“

Frägt Maestro Mohr, das Föjetooglöcklein verschmitzt wie pflichtschuldigst läutend, im Vorspann. Aber dann geht er ohne Verzug und rück-sichts-los auf einen Großmeister des linken Diskurses los.

Zitat: „Einer hat wieder mal am schnellsten sein Urteil parat: ,Noch peinlicher als Schröder und Fischer – sofern das überhaupt möglich ist – sind allerdings die Leute, die sich diese Lemuren gewählt haben‘, tönte der Berliner Biertischdenker des realschwurbelnden Kiez-Sozialismus, Wiglaf Droste, in der Tageszeitung taz. Lemuren, das muß man wissen, sind wahlweise madagassische Halbaffen oder böse Geister aus der römischen Mythologie. Droste, 37 Jahre alt, einer jener altlinken Antidemokraten, deren volkstümliche Ressentiments gegenüber opportunistischen Politikern genauso gut in der rechten Jungen Freiheit stehen könnten, ist stolz, kein Lemur zu sein.

Das ist auch Ex-RAF-Mitglied Horst Mahler, 62 Jahre alt. Drei Tage nach der Bundestagswahl offenbarte der frühere Terrorist in der Süddeutschen Zeitung sein Faible für die gefangenen ,Märtyrer der nationalen Wiedergeburt Deutschlands‘, die zum Beispiel als Neonazis ausgegrenzt würden... Droste und Mahler, zwei ideologische Überzeugungstäter der alten Bundesrepublik, repräsentieren exotische Schwundformen jenes überkommenen Lagerdenkens, das sich niemals, schon gar nicht durch die Wirren der Wirklichkeit, irritieren läßt.“ Ende des Zitats.

Ja, was nun hat Droste, den der Autor namens Mohr Horst Mahler gleichstellt, diesem bis auf die Geschlechtsumwandlung alle Metamorphosen des Grauens, von der schlagenden Verbindung in der studentischen Jugend über Staranwalt und Pistolero bis hin zum Altneonazi, absolviert habenden Chamäleon, was nun hat Droste verbrochen?

Ganz still schrieb er in seinem Dreispalter „Der Seitenscheitel der neuen Mitte“ vor ein paar Tagen in der taz, Zitat: „Von den unangenehmen Figuren aus SPD, PDS und Grünen, die sich jetzt und in näherer Zukunft aufmandeln, habe ich nicht eine einzige legitimiert...

Aber ab und zu lauschen will ich schon: Wenn es ein sozialdemokratischer Polizeiminister sein wird, der den Kanther macht, wenn ein Außenminister Fischer militärische Ehrenformationen abschreitet und dabei nicht mal in Gedanken lachen muß, wenn es Abgeordnete der SPD und der Grünen sein werden, die Kriegführen aber so was von notwendig und zivilisatorisch zwingend finden werden, und wenn jene, die sie dazu bestellt haben, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und jammern werden, das hätten sie nicht gewollt. Das gucke ich mir dann an.“ Zitat Ende.

Ja, ist denn das ein Verbrechen? Namentlich in den Augen eines jeden Feindes der Postkohlgerhardjoschkamoderne und eines jeden Fans der exotischen Schwundform der präzisen Klassenanalyse? Horst Tomayer

Radiomitschnitt von Horts Tomayers „Kritischem Tagebuch“, gesendet am Montag, 12. Oktober 1998, auf WDR III

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