: Journalisten müssen das Netz moderieren
■ Auf den Medientagen in München diskutierten Online-Profis über die Zukunft ihrer eigenen und der klassischen Medien: Das Internet wird an die erste Stelle rücken, aber Zeitungen und Fernsehen werden
Das Wichtigste zuerst: Bill Gates will sich, wenn er 50 ist, von Microsoft zurückziehen und sein nicht unbeträchtliches Vermögen nur noch in Wohltätigkeit stecken. Und seine Kinder sollen nicht mehr als 100 Millionen Dollar erben. So lautet jedenfalls das schon länger umlaufende Gerücht, das Michael Konitzer, der umtriebige Direktor von „Microsoft Network“ in Deutschland, auch auf den Münchner Medientagen verlautbarte. Aber – unseliges Journalistenlos – so ganz sicher wollte er es dann doch wieder nicht wissen. Er empfahl, „doch noch mal im Internet nachzurecherchieren“.
Damit war er beim Thema der Podiumsdiskussion, zu der die „Medientage München 98“ und die Deutsche Journalistenschule am Dienstag geladen hatten. Titel: „Jeder surft für sich alleine – braucht das Internet-Zeitalter noch Journalisten?“ Unter der Leitung von Wolfgang Herles vom ZDF gingen zwei klassische Journalisten und vier Online-Profis vor einem fast durchweg jugendlichen Publikum der Frage nach, ob – wie Herles eingangs formulierte – Journalisten hinfort zu bloßen Lieferanten werden, zu „Pizzaausträgern, die nur noch die Margaritas an die Kundschaft weitergeben“.
Der Kommunikationswissenschaftler Lutz M. Hagen wußte das Publikum zu beruhigen: Nur 15 Minuten pro Tag seien Deutschlands Surfer derzeit online, und dabei gehe es vorwiegend um private Nutzung, um sogenannte interpersonelle Kommunikation, Unterhaltung und Shopping. Eine Änderung des Informationsverhaltens sieht er „eher im Laufe von Generationen als von Jahren“: „Couchpotatoes werden keine Surfer-Aktivisten.“
Heimarbeiter unter Aktualitätsdruck
Dennoch sagte Hagen Veränderungen voraus: Journalisten werden zu „Pfadfindern, Navigatoren und Lotsen“, das ganze Gewerbe werde mehr „Service-Orientierung“ erhalten, aber auch „ganzheitlicher“, vulgo multimedialer. Zugleich werde das Netz zu einer Internationalisierung und Amerikanisierung führen, die englische Sprache deshalb immer wichtiger. Zudem werde die journalistische Heimarbeit, „outsourcing“ genannt, zunehmen, der Aktualitätswettbewerb schärfer und schon deswegen die Qualitätssicherung schwieriger.
Mit Hans-Dieter Degler von Spiegel Online und Jörg Sadrozinski von ARD Online saßen personifizierte Beweise auf dem Podium, daß die klassischen Medien auch im Online-Geschäft die Fäden in der Hand halten. Degler konnte berichten, daß seine Kundschaft weitaus gebildeter ist als die des gedruckten Spiegel: 62 Prozent seien Hochschulabsolventen, 90 Prozent surfen freilich nicht privat, sondern im Rahmen ihrer Arbeit.
Für Michael Konitzer, einen Pionier des deutschen Online- Journalismus, sind solche Zahlen kein Wunder. Die News aus dem Netz seien in Deutschland einfach sehr viel teurer als in anderen Ländern. Das freilich werde nicht verhindern, daß eine „net-generation“ heranwachse. Das Netz habe nun einmal gewisse Vorteile und in „10 Jahren“ werde es normal sein, sie auch zu nutzen. News zu jeder Zeit, eine globale, digitale Welt: Das bestimme schon heute das Rezeptionsverhalten der Jugendlichen. Konitzer sieht eine Parallelität zwischen klassischem und Netjournalismus voraus, wobei jedes Medium seine Stärken einbringen werde. Die Wahrheitsfindung etwa gestalte sei bei der „just in time-delivery“ des Internets ganz anders als im Fernsehen oder in den Printmedien. Die Fehler der ersten Netz-Meldungen könnten von den langsameren „Sekundärmedien“ korrigiert werden.
Solche Aussichten veranlaßten Dietrich Schwarzkopf vom Vorstand der Journalistenschule zu dem Stoßseufzer, daß man manchmal doch lieber warten sollte. Schwarzkopf, der Älteste auf dem Podium, klang durchaus nicht hinterwäldlerisch, wenn er vorsichtig auf Gefahren im Netz hinwies: Die Verantwortung des Journalismus werde angesichts der Informationsfülle noch größer, die Gleichzeitigkeit und der Aktualitätsdruck könnten zu Lasten der Recherche und der Seriosität gehen. Die Vermittlungsfunktion des Journalismus könnte entfallen.
Degler dagegen verteidigte die Kundschaft seines Spiegel Online: Das seien schließlich keine Medienidioten, die wüßten, was sie lesen. Im übrigen sei es ja gerade die Aufgabe von Online-Journalisten, Lotsendienste zu leisten. So habe er etwa beim Starr-Report, dem „Online-Meilenstein“ in diesem Jahr, seine Leute angewiesen, die zehn wichtigsten Links zu der Affäre einzubauen, um den Starr- O-Ton ezuordnen zu können. Außerdem seien Online-Kommentare immer unter den „Top 5“: „Die Leute wollen Meinung – auch im Internet.“
Ausbildung an der Suchmaschine
Daß er mit der Anglisierung keine Probleme hat, zeigte Schwarzkopf dann, als er Begriffe wie „gate keeping“ und „agenda setting“ in die Debatte warf. Klassische Funktionen des Journalismus sind gemeint. Was denn da das Internet zu leisten vermöge? Die Online-Profis waren zuversichtlich. In den USA gebe es bereits heute angesehene Online- Kommentatoren, die nationale Debatten bereicherten und mitsteuerten. Und für Konitzer können regionale Online-Dienste für die lokale Bürgerarbeit wertvoll sein. Dasselbe gelte für „glokale Aktionen“, etwa Unterschriftensammlungen, die lokal begännen und dann zu globalen Kampagnen führten. Spätestens wenn ein Politiker zwei Millionen E-Mails erhalte, werde das auch für klassische Journalisten interessant.
Blieb die Frage nach den Berufsperspektiven. Dankbar nahm Degler die Frage nach der „orientierungsbildenden Funktion von Suchmaschinen“ auf und empfahl den journalistischen Nachwuchskräften die Arbeit daran ebenso wie an Datenbanken und Internet- Archiven. Konitzer berichtete von Chat-Moderatoren, die im Netz machten, was Herles gerade im Saal tue und sonst beim ZDF. Und amazon.com habe nur Erfolg, weil der Buchversand auch Journalisten als Rezensenten und für Literatur-Chats beschäftige.
Fazit: Das Internet-Zeitalter wird Journalisten brauchen – für aufregende, aber auch ein paar fade Aufgaben. Der Stil freilich wird sich ändern, doch für Kulturpessimismus sah niemand einen Grund. Auf die Frage, wie denn im Jahr 2020 das Szenario aussehe, meinte Degler: „Veranstaltungen wie diese werden nicht mehr stattfinden.“ Thomas Pampuch
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