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Er war nie ein Star

Gestern wurde Bernhard Minetti beerdigt. Bei der Trauerfeier im Berliner Ensemble sprach jeder, der über den Schauspieler sprach, ein bißchen über sich selbst  ■ Aus Berlin Petra Kohse

Bei solchen Anlässen weiß ein Außenstehender anfangs gar nicht, wohin mit sich. Sich unter den Augen vielfachen Polizeischutzes im Kondolenzbuch einzutragen wäre vermessen. Also schnell vorbei am Pulk der Fotografen und Mikrofonträger und hinein ins Gebäude, aber möglichst ohne dabei trauernde Näherstehende zu überholen, die langsam gehen und Sträuße tragen. Zuhausebleiben ist in den meisten solcher Fälle die beste Alternative. Diesmal aber nicht. Denn gerade die Außenstehenden gehörten ja dazu bei der Trauerfeier für den Schauspieler Bernhard Minetti am Mittwoch vormittag im Berliner Ensemble – die Untensitzenden: das Publikum.

Drinnen fällt dann alles leichter, denn das Berliner Ensemble versteht sich aufs Trauern. Mehrtägige Gedenksitzungen nach dem Tod von Heiner Müller haben das beklemmend Private des Todes offenbar gebannt, man kann hier jetzt auch öffentlich traurig sein. Und selbst wenn der Tod Bernhard Minettis im Alter von 93 Jahren keinesfalls überraschend kam und sein Publikum – bewußt oder nicht – jahrelang von ihm Abschied nehmen konnte, so ist es doch ein Memento mori im Leben jedes einzelnen, daß einer, der immer da war, ab jetzt fehlen wird.

Es lag natürlich auch an der stilvollen Kargheit der Bühne – nur Rosen und ein großes Minetti- Foto –, an der sicheren Dramaturgie der Feierlichkeit und dem Gehalt der Trauerreden. Man merkte: Hier sind welche, die nicht nur der Familie Minetti und den Anwesenden, sondern auch sich selbst etwas sagen wollen, bevor nebenan auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, zwischen den Gräbern von Bertolt Brecht und Heiner Müller, die Beerdigung stattfinden würde.

Zuerst wurden einige Ausschnitte aus Filmaufzeichnungen von Theateraufführungen gezeigt. Minetti als Lear oder als Minetti – geschickt waren Aussagen über Schauspiel und Leben zum Lebensbild eines Schauspielers montiert. Denn das war Minettis Leben: das Schauspielen. Oder genauer: die kompromißlose Hingabe an seinen Beruf.

In den Reden und Beiträgen des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Eberhard Diepgen, von Kollegen, dem Biographen Günther Rühle oder – besonders eindrucksvoll – dem zukünftigen Intendanten des Berliner Ensembles, Claus Peymann, kam denn auch immer wieder eines zum Ausdruck: die Hochachtung vor einem, der für eine Sache gelebt hatte, die ihm mehr wert war als er selbst. Der eine Leidenschaft hatte und getrieben war von der Sehnsucht nach Vollkommenheit. Der das Mittelmaß haßte und der sich lieber zerkrachte, statt verlogen zu harmonieren. Eine mutige, eine anachronistische Erscheinung, wurde gesagt, womit gemeint war: ein Künstler.

„Er war nie ein Star“, sagte Claus Peymann am Ende seiner sehr persönlichen und auch lustigen Rede über die anstrengende Arbeit mit dem Schauspieler- Schauspieler Minetti. „Aber immer ein Stern.“ Und dann schaute er zu dem Minetti-Foto auf, und hatte nicht als einziger Tränen in den Augen, was aber kein bißchen angeschafft wirkte, sondern schön. Weil jeder auch über seine eigenen Ideale im Theater gesprochen hatte, indem er sich an den Theatermann Minetti erinnerte. Geboren 1905, gestorben 1998 – 93 Jahre und kein bißchen milde. „Weißt du, was er am meisten gehaßt hätte“, fragte eine Frau in Publikum zwischen zwei Redebeiträgen ihren Nachbarn. „Das ständige Gehuste im Parkett.“

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