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AnalyseDie Krise ist Programm

■ Der russische Staat übernimmt wieder die Führung in der Wirtschaft

Nur häppchenweise gelangen Details des Antikrisenprogramms der russischen Regierung an die Öffentlichkeit. Premier Jewgeni Primakow tut sich schwer, die Katze aus dem Sack zu lassen. Der Premier hat eine unangenehme Aufgabe: Zum einen möchte er es sich mit keiner Interessengruppe – darunter westlichen Kreditgebern – verderben, andererseits gilt es, schleunigst die Wirtschaft zu sanieren. Das erklärt, warum der Premier zögert. Doch jeder ungenutzte Tag führt weiter in den wirtschaftlichen Ruin. Lange wird die Regierung dieser widerspruchsvollen Konstellation nicht standhalten können. Der Bruch ist programmiert.

Neun Stunden beriet das Präsidium der Regierung am Montag geheim. Was am Ende als Fragment präsentiert wurde, bestätigte nur die vermutete Tendenz: Der Staat übernimmt wieder die führende Rolle in die Wirtschaftslenkung. Die Direktoren der staatlichen Betriebe hatten schon letzte Woche Primakows Ankündigung, der Staat kehre zurück, mit Entzücken begrüßt. Die Gemeinde der roten Direktoren atmete auf. Die schützenden Fittiche der zentralen Auftragsvergabe nehmen ihnen die Last der Eigenverantwortung.

Die aggressive Trägheit der Industriellen ist Rußlands Problem, viel weniger als die Rückkehr des Staates. Er sollte die Aufgabe, Rahmenbedingungen des Wirtschaftens vorzugeben und zu garantieren, ernster genommen haben. Es widerspricht nicht marktwirtschaftlichen Prinzipien. Schließlich ist die Europäische Union bei der Subventionsvergabe in der Agrarpolitik sozialistischer als Moskau. Etwas Protektion der heimischen Industrie und eine striktere Währungspolitik inklusive Maßnahmen, um Kapitalflucht zu verhindern, bedeuten keine Abkehr von der Marktwirtschaft.

Nur drohen dergleichen Unternehmungen in Rußland nicht zu fruchten. Statt zu akkumulieren und zu modernisieren, wird der industrielle Sektor den Staat wie eine Milchkuh behandeln. So fordern die Industriellen Kredite zum Zinssatz von 7 Prozent, obwohl die Inflation schon 38 Prozent erreicht hat. Die Konsequenzen: Der Inflation folgt die Hyperinflation, ohne daß der Output der Ökonomie nennenswert wächst. Auch schreibt sie den Warentauschhandel fort. Das Geld verliert weiter an Bedeutung. Offiziell will das Programm bis Jahresende maximal 60 Milliarden Rubel (7 Milliarden Mark) zusätzlich drucken. Selbst dem emissionsfreudigen Zentralbankchef Geraschtschenko stehen die Haare zu Berge. 20 Milliarden hält er noch für vertretbar. Das hat die Lobby der nichtproduzierenden Produzenten nie interessiert. Langfristig provozieren die sozialen Folgen einer Hyperinflation den Staat auch hier zu härterem Vorgehen. Er könnte versucht sein, sich über das Recht zu erheben. Das birgt die größte Gefahr. Klaus-Helge Donath

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