: Bein rennt, Hirn pennt angestoned
■ Am Mittwoch war mal wieder „Stagebox“ im Modernes – diesmal sogar multimedial
Zwischendurch war es fraglich, ob es die Stagebox weiterhin geben würde. Die Leut' würden zu sehr auf selbstmitgebrachte alkoholhaltige Erfrischungsgetränke zurückgreifen, was einer Veranstaltung, die sich, in Ermangelung von Eintrittsgeldern, über den Getränkeverkauf finanziert, nicht viel nützt, hieß es.
Die Göttinger „Eaten By Sheiks“ sollten schon zu einem früheren Zeitpunkt in der Umsonst-und-drinnen-Reihe im Modernes spielen. Da aber just zu jenem Termin eine Fortführung der Stagebox in Frage gestellt war, kam es erst am vergangenen Mittwoch zum Auftritt der hoffnungsvollen Band.
Nachdem sie sich mit einem Stück ihrer nun schon etwas älteren Schallplatte noch auf crossoverkontaminierten Gemeinplätzen herumgetrieben hatten, schwenkten sie nach und nach auf ihre neue Generallinie um: Gitarrenpop, eingelegt in Rhythmen, die ihre Heimat auf den Tanzböden der späten Neunziger gar nicht leugnen – wozu auch. Mit smarten Melodien, die teils recht konsequent eine klare Strophe-Chorus-Aufteilung unterwandern, entspannt groovenden Breakbeats und zunehmender Agilität gerieten „Eaten By Sheiks“ am Ende ihres Auftritts dann hör- und sichtbar in Wallung. Das Publikum brauchte etwas länger, und selbst dann war es noch eine eher zurückhaltende Freude.
Das paßte ganz gut zu „Hirn Bein Rennt“. Die legten es erst gar nicht auf populistische Party-Tauglichkeit an.
Bei ihnen gab es keine Songs, nein, es wurde ein Stück namens 'Idylle' gereicht, daß in schätzungsweise 40 Minuten zwar deutlich durchdacht wirkte und auch über langgestreckte Rhythmus-Seancen verfügte, aber in seiner Wirkung eher auf Kontemplation abzielte, denn auf tänzerischen Aktionismus. Hinter den Musikern gab es Dias, auf denen neben dem Schriftzug 'Idylle' immer wieder eingesperrte Tiere zu sehen waren. Künstlerische Mitteilung, wir hören dich und deinesgleichen auf leisen Schritten näherkommen.
„Mich haben sie heute stoned gemacht“, teilt uns ein begeisterter DJ mit und verweist auf einen anderen Zugang zu den hypnotischen Klängen aus Didgeridoo, Schlagzeug und Bass. Daß der rezitatorische Teil nicht verstehbar war, mag technische Gründe gehabt haben, wird aber bei einer derartigen Rezeption nicht weiter gestört haben. Das Publikum dankte jedenfalls mit einem freundlichen Applaus und wartete auf „Spherical“.
Die kommen aus Hamburg und waren mit einem dieser stämmigen Vollbartträger angereist, die sich durch das gewichtige Tragen von Mobiltelefonen, eingeschweißten Pässen und Taschenlampen stets als Manager kenntlich machen. Obacht, soll das signalisieren, wir sind nicht allein in diesem Geschäft! Es gibt einen, der zu uns hält, und der hat mindestens schon einmal Eric Clapton die Hand geschüttelt. Das wirkt professionell.
Und Spherical klotzen auch auf dem Papier mit Vermerken der Art, daß sie wohl nie wieder so billig zu haben sein werden, etc.
Das braucht ja gewöhnliche KonzertgängerInnen nicht zu stören, solange diese Attitüde sich nicht in der hemmungslosen Darstellung von Professionalität, zumeist auf deren Karikatur hinauslaufend, entlädt. Und Spherical gaben sich da keine Blöße. Eher zurückhaltend und ganz dezent unterkühlt spielten sie umstandslos, was seit zwei Jahren zum Kanon cooler Popmusik gehört und Triphop heißt. Zischelnde Breakbeats in langsamen Tempi, flächige Elektronik, hin und wieder eine angezerrte Gitarre und drauf eine rauchzarte Frauenstimme mit jazzigem Schmelz.
Und vor allem die wußte zu bestechen, so daß die melancholisch verhangenen Songs schließlich auch sporadisch die tänzerische Ader anrührten – selbstversunken, nachdenklich, wie es einem im Herbst in einer verregneten Hafenstadt, wie Hamburg und Bremen anscheinend so gehen kann. Oder in Bristol, wo sich einst eine Band namens Portishead um die Erfindung dieser Musik verdient gemacht hat, aber das ist eine andere Geschichte. Andreas Schnell
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