: Instrumentenkörbe für malträtierte Kinder
■ Marie Luise Zimmer ist Musiktherapeutin und arbeitet an der Prof.-Hess-Kinderklinik mit krebskranken Kindern. Aus Anlaß eines Benefizkonzertes der Kammerphilharmonie berichtet sie im taz-Gespräch über ihre Tätigkeit
m 25. November gibt die Deutsche Kammerphilharmonie ein Benefizkonzert zugunsten der musiktherapeutischen Arbeit an der Bremer Prof.-Hess- Kinderklinik. Musiktherapie ist zwar eine viel verwendete Methode, aber was sich im einzelnen dahinter verbirgt, bleibt für den Laien eher im Dunkeln. Und so wird zwischen den Polen „gemütliche Klänge für Esoteriker“ und „ernstzunehmende Methode der Therapeutik“ alles mögliche damit assoziiert. Marie Luise Zimmer bringt Ordnung in dieses Durcheinander. Die Bremer Musiktherapeutin hat innerhalb von zwanzig Jahren eine vielbesuchte Praxis in der Musiktherapie aufgebaut. Sie betreut in der Prof.-Hess-Kinderklinik krekskranke Kinder und sorgt für die „Beschallung“ der Frühgeborenen. Aus Anlaß des Konzertes befragte die taz Marie Luise Zimmer über ihre Arbeit.
taz: Frau Zimmer, Musiktherapie ist ja ein großes Feld – ein großes Ausbildungsfeld auch. Wie sind Sie zur Musiktherapeutin ausgebildet worden? Und wo liegt Ihr Ansatz?
Marie Luise Zimmer: Ich war zunächst Kindergärtnerin und dann Schulmusikerin. Ich habe schon vor zwanzig Jahren Kurse für Kinder angeboten und hatte einen guten Zulauf, weil damals der Aspekt, daß Körper und Musik miteinander zu tun haben, noch neu war. Ich hatte in den Grupppen immer auch verhaltensgestörte Kinder, denen ich durch diese Anwesenheit eine Therapie ersparen konnte, die ja gleich so schrecklich in den Krankheitsbereich gefallen wäre. Ich habe aus Überzeugung – und eigenen Erfahrungen – die Musiktherapie autodidaktisch begonnen und später dann auf der Gestalttherapie aufgebaut, einfach von dem Gedanken aus, daß der betroffene Mensch aus irgendeinem Grund eben nicht sprechen kann, sondern andere Möglichkeiten zur Verarbeitung seiner Erlebnisse oder zum Ausdruck seiner Emotionen bekommen muß. Oder daß jemand zwar sprechen kann, aber eben nicht in der Lage ist, damit seine Gefühle auszudrücken. Meine bewunderte und größte Lehrerin ist die jetzt 82jährige Gertrud Katja Loos, die Begründerin der Musiktherapie in Deutschland. Ihr Ansatz ist die Einheit Musik, Körper und Atem. Die alte Dame kommt übrigens zum Konzert und wird sprechen.
Es gibt ja sehr viele Zugänge: über die Medizin, über die Kunst, über die Psychotherapie, über die Pädagogik. Können Sie diese Linien erläutern?
Ja: Es gibt nicht „die Musiktherapie“. Allen Methoden gemeinsam ist allerdings, daß sie nicht komponierte Musik verwenden, sondern die Elemente der Musik, also den Rhythmus, den Klang als Grundlage der Improvisation. Die Frage ist ebenfalls bei allen: Warum wirkt das so? Warum beeinflussen die Rhythmen und Klänge das Gehirn so direkt, daß das körperliche Folgen hat? Daß Musiktherapie bei frühen Störungen eine führende Heilmethode ist, gilt inzwischen als Allgemeingut. Meine persönliche Meinung ist, daß es ohne psychotherapeutische Ausbildung und Kenntnis nicht geht, weil tiefliegende und dramatische Dinge ausgelöst werden können, die unglaublich gefährlich sind.
Wie ist denn eigentlich die Akzeptanz? Es gibt Menschen, die sind Musiker, und andere, die nie Musik hören ...
Es ist sehr interessant, daß MusikerInnen am schwierigsten sind ... In unserem System ist das Leistungsdenken der MusikerInnen so ausgebildet, daß sie in keiner Weise mehr frei sind, über Musik Urerfahrungen an sich heran und aus sich heraus zu lassen.
Bei welchen Krankheitsbildern ist die Musiktherapie am wirkungsvollsten?
Bei allen psychosomatischen Erkrankungen. Außerdem in der Begleitung von Sterbenden, bei Behinderten, in der Therapie von Sucht und Gewalterfahrungen.
Ihr Spezialgebiet sind Krebserkrankungen bei Kindern geworden. Können Sie von Erfolgen Ihrer Arbeit sprechen, sind Ergebnisse überhaupt meßbar?
Natürlich nicht im statistischen Sinn. Und es ist auch ganz klar, daß Musik nicht den Krebs heilen kann. Aber die Musiktherapie verbessert die Lebensqualität. Es ist ja auch so schwer, weil die Metaphern nicht mit denen der anderen Wissenschaften kompatibel sind. Und weil das kein eigenes wissenschaftliches Gebäude ist – und auch nie sein kann –, deswegen zahlen die Kassen den ambulanten Einsatz ja auch nicht, zumindest nicht selbstverständlich.
Wie geht dieser Einsatz bei den Kindern genau vor sich?
Ich versuche am Krankenbett die Kinder mit meinem Instrumentenkorb irgendwie zu aktivieren, sie da abzuholen, wo sie sind. Man muß bedenken, daß sie durch die vielen Untersuchungen unglaublich malträtiert und auch seelisch verletzt sind. Ich muß es schaffen, daß sie das ausagieren, zum Beispiel über das Erzählen ihrer Träume.
Sie haben die Arbeit im Krankenhaus ausgeweitet auf die Behandlung von Frühgeborenen. Um was handelt es sich da?
Hauptsächlich um Mutterstimmen und Herzschlag. Das ist gleichzeitig Krisenintervention für Mütter, die haben in ihrer verzweifelten Lage das Gefühl: „Ich kann etwas tun!“ Man kann deutlich erkennen, daß diese Winzlinge auf die Stimmen der Mütter mit Entspannung reagieren, was natürlich ihre Entwicklung fördert.
Die Musiktherapie gibt es nicht unbedingt in dieser Begrifflichkeit schon seit tausenden von Jahren in den Riten alter Völker und Hochkulturen. Sind diese Kenntnisse für Sie Inspiration? Lassen sich alte heiltherapeutische Riten, die Aktionen der Schamanen zum Beispiel, überhaupt auf unser Abendland übertragen?
Schauen Sie sich die Instrumente in diesem Zimmer an: Das Monochord liegt hier, das Didgeridoo, alles Instrumente mit ungaublichen Obertonspektren, die bewirken, daß man mit dem Kosmos eins zu werden glaubt. Auch das Trommeln hat eine heilende Wirkung.
Fragen: Ute Schalz-Laurenze
Das Programm des Konzertes am 25. November um 20 Uhr im großen Saal der Glocke: Griegs Suite „Aus Holbergs Zeit“, die hochvirtuosen „Rokoko-Variationen“ von Tschaikowsky, die Tanja Tetzlaff spielen wird, und Wolfgang Amadeus Mozarts Sinfonie in g-Moll, KV 550.
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