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Die Ufos, die aus dem Radio kamen

■ WDR meldete Invasion – doch alles war nur ein Medienexperiment

Eigentlich sollte es um „ungleiche Paarbeziehungen“ gehen. Eines der üblichen Morgenfeatures ist am Freitag im WDR-Radio 5 eben angekündigt, da wird das Programm jäh unterbrochen: „Hier ist der Westdeutsche Rundfunk Köln. Aus aktuellem Anlaß schalten wir unsere Hörfunkprogramme zusammen.“ Hektisch schaltet der Sender nach New York. Unglaubliches berichtet Korrespondent Thomas Nehls: „Der Anblick gleicht Bildern aus einem Science- fiction-Film.“ beginnt er. „Doch dies hier“, versichert der Reporter, „ist Wirklichkeit: Über der Halbinsel Manhattan schweben zur Zeit etwa 200 Flugkörper noch unidentifizierter Herkunft.“ Der Verkehr: zusammengebrochen. Die Menschen: in Panik. Im Äther Rückkoppelungen und Versuche, Moskau-Korrespondent Peter-Josef Bock zu erreichen. Der berichtet ähnliches, ebenso Kollegen aus China, Japan, Mexiko. Selbst Berlin-Kreuzberg, so der Mann aus der Hauptstadt mit dramatischer Stimme, sei „praktisch vernichtet“: „Mehrere tausend Tote und Verletzte sind wahrscheinlich.“

Nur 13 Minuten nach der Feature-Ankündigung ist der Spuk vorbei. Anstelle einer angekündigten Katastrophenschutzansage erklärt man, daß die Berichte eben doch Fiktion waren, keine Wirklichkeit. Hörfunkautor Walter Filz hat sie erdacht: Genau 60 Jahre nach der Ausstrahlung des berühmten Orson-Welles-Hörspiels „Krieg der Welten“ wollte der WDR das legendäre Medienexperiment wiederholen. Damals hatte die US-weite Kette CBS Hunderttausende in Panik versetzt. Menschen flüchteten, und die Sprecher mußten noch Stunden später beteuern, daß alles nur eine Romandramatisierung war.

Aber 1998? „Wir haben damit gerechnet, daß der moderne Medienrezeptor mal an der Skala dreht oder den Fernseher anschaltet und das merkt“, sagt Thomas Hauschild, der für den „Zweiten Krieg der Welten“ (so der Hörspieltitel) zuständige WDR-Redakteur. Doch auch sechzig Jahre später entfalten Ufos über Manhattan noch ihre Wirkung: „Wir waren überrascht von den Reaktionen“, staunt Thomas Hauschild: Radio 5 bekam Anrufe wie selten. „Die Grundkonstellation von Welles Stück hat auch nach 60 Jahren noch soviel Kraft, daß sie Leute faszinieren kann.“ Oder gehörig erschrecken, denn viele Anrufer hatten den Bericht geglaubt – schließlich waren ihnen die (echten) Korrespondenten als seriöse Nachrichtenvermittler bekannt.

Trotz der sofortigen Auflösung mußte der Sender noch am Nachmittag beschwichtigen: Medienexperten und Moderatoren versuchten, mit den Hörern über die Irritation im Radioalltag zu diskutieren. Man habe niemanden erschrecken wollen, beteuert Hauschild. „Natürlich wollen wir als seriöses Medium wahrgenommen werden, aber nehmen uns die Menschen auch Ufos ab?“ Wer Außerirdische von seriösen Nachrichtenmachern serviert bekommt, so die Idee, wird auch sonst gesunde Zweifel an der Allwissenheit der Medien entwickeln. Ein 77jähriger habe sich sofort an das Welles- Hörspiel erinnert und sich köstlich amüsiert. „Ich fand's gut“, habe eine Frau gesagt, die an die Ufo- Bedrohung geglaubt hatte, „weil ich gemerkt habe, daß ich kritischer sein muß.“

Zu entlarven war alles übrigens einfach: Die WDR-Programme wurden natürlich nicht zusammengeschaltet. Was aber, wenn sich der WDR das gleiche in zehn Jahren traut und noch ein TV-Sender mitmacht? Matthias Thieme

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