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Christoph BiermannIn Fußballand

■ Warum es okay ist, daß mir die Worte „Schon wieder ein Jugo“ rausrutschten“

Vor einigen Tagen reichte mir ein Kollege eine Agenturmeldung, von der er zu Recht annahm, daß sie mich interessieren würde. „Bochum holt Drincic“ war die Nachricht überschrieben und berichtete darüber, daß Bundesligist VfL Bochum den 26jährigen Stürmer Zdravko Drincic von Vojvodina Novi Sad verpflichtet hatte. „Schon wieder ein Jugo“, maulte ich über den Einkauf meines Lieblingsvereins und nahm mit der Beschwerde „Jetzt sind wir bald Fortuna Düsseldorf“ hinter dem Schreibtisch Platz. Jeder halbwegs wachsame Leser wird sich an dieser Stelle fragen, welche Rassismen denn bitte schön hier verhandelt werden, was Fortuna Düsseldorf damit zu tun hat und was überhaupt gegen jugoslawische Fußballspieler einzuwenden ist.

Um die letzte Frage gleich zu klären: Eigentlich nichts. Schließlich verdienen Hunderte von serbischen, kroatischen, bosnischen, makedonischen und slowenischen Kickern ihr Geld im Ausland. Die besten spielen in der ersten spanischen Liga, die weniger guten in der zweiten belgischen und der dritten französischen und fast 40 von ihnen in der Bundesliga.

Da sie zumeist über eine beachtliche Grundfertigkeit im Umgang mit dem Ball verfügen und bereits zu Zeiten des titoistischen Jugoslawien in den Westen wechseln durften, konnte ich schon vor zweieinhalb Jahrzehnten im Stadion von Westfalia Herne dem glatzköpfigen Idriz Hosic und dem toll fummelnden Miodrag Petrovic zujubeln. Hosic spielte später gemeinsam mit Franz Beckenbauer bei Cosmos New York und Petrovic bei Preußen Münster. Angeblich hatte er ein Verhältnis mit der Gattin des Schatzmeisters und wurde deshalb eilig verkauft.

Seit dem Krieg in Jugoslawien verließen aus naheliegenden Gründen noch mehr Spieler ihr Land. Wie auch Polen, Rumänen, Bulgaren, Ungarn, Tschechen oder Russen, für die es immer noch besser ist, bei Drittligisten in Deutschland zu arbeiten als bei Spitzenklubs ihrer Heimat. Dabei gilt ein ähnliches Prinzip wie auf deutschen Baustellen: Weil diese Spieler ihre Dienste so günstig anbieten, liest sich die Mannschaftsaufstellung manch eines Regionalligisten, als wäre er eine Fusion aus Widzew Lodz, Rapid Bukarest und Hajduk Split.

In der Bundesliga ging Fortuna Düsseldorf unter Trainer Aleksandar Ristic schon früh diesen Weg, da der Verein wenig Geld hatte. Die Sonderangebote aus Osteuropa bringen aber zunächst keinen Glamour mit sich. Kein brasilianisches Versprechen auf glanzvolle Dribblings und kein niederländisches Augenzwinkern, keine afrikanischen Verwegenheiten am Ball oder dänische Verläßlichkeit. Eher die Tristesse von Stromsperren, kalten Wohnungen und Versorgungsengpässen. Und Düsseldorf stieg ja auch bald ab.

Zudem haben vor allem Spieler aus Ex-Jugoslawien das Problem, daß ihre Namen zumeist auf „-ic“ oder „-ac“ enden. Das ist nicht als Witz gemeint. Wer kann schon Zivkovic, Bicanic, Sopic und Petrovic den richtigen Bundesligisten zuordnen?

Da gerät man schon mal durcheinander, wobei der 1. FC Köln es 1965 besonders schwer hatte, den richtigen Cebinac zu verpflichten. Oder auch nicht, weil vielleicht der richtige Zwillingsbruder zum Probetraining kam, aber der falsche den Vertrag unterschrieb. Darauf kann sich der VfB Stuttgart nicht herausreden, der vor dieser Saison für zwei Millionen Mark offensichtlich den falschen Markovic verpflichtete und ihn nun als nicht tauglich für die Bundesliga gerne wieder loswerden möchte.

Spieler aus Osteuropa haben es überdies schwerer, zu einer eigenen Geschichte zu kommen, weil ihre Sprachprobleme oft gravierender sind und sich viele Klubs darum kaum kümmern. Also kicken sie nur und schweigen sonst, irgendwann gehen sie wieder und werden vergessen.

Zdravko Drincic, neben einem Polen und einem Rumänen der vierte Jugoslawe beim VfL Bochum, hat sich hingegen beeilt, zu eigener Geschichte zu kommen. Er stürmte gleich in seinem ersten Spiel beeindruckend wuchtig und schoß ein Tor. Dann erfuhr man, daß sein zukünftiger Schwiegervater in einem Bochumer Steakhaus arbeitet, bald seine Verlobte Sandra kommen und er sie heiraten wird. Außerdem bewies Drincic Humor, als er sagte, daß er auf Bochum aufmerksam geworden wäre, weil die Mannschaft so schöne Trikots hätte.

Eine Woche vor Drincic hatte der VfL Bochum von Otelul Galati den 30jährigen Rumänen Viorel Ion verpflichtet, bei dem zunächst gerätselt wurde, welcher sein Vor- und welcher sein Familienname wäre. Der winzigkleine, fliegengewichtige Mann mit den großen Augen spielt auf zauberhaft leichtfüßige Art und Weise, in die man sich leicht verlieben kann. Sonst weiß man nichts über ihn.

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