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Harrys Musicke

■ Hans Joachim Hespos auf neuen Wegen. Zum 29. Mal „Neue Musik in Delmenhorst“

Sage und schreibe zum 29. Mal fand das Minifestival „Neue Musik in Delmenhorst“ statt: Noch immer funktioniert irgendwie die vom Komponisten Hans Joachim Hespos damals gut ausgedachte Methode, das Konzert immer am 11.11. stattfinden zu lassen: „Damit niemand sagen kann, er habe den Termin nicht gewußt“. Der Pferdefuß dabei ist, daß das keine neuen Leute zieht; die Jugend, die kommt, wird von den Alten mitgebracht. Hespos wird am katastrophalen Besuch gemerkt haben, daß neue und andere Werbemethoden entwickelt werden müssen. Nun – das hat nichts mit der Qualität der Konzerte zu tun, jedenfalls diesmal nicht.

Das Konzert war besonders Hespos-lastig, und mindestens hochinteressant war dabei ein Aspekt: die Wiedergabe von „Harrys Musicke“ für Baßklarinette (Thomas Löffler) aus dem Rebellenjahr 1970 und die Aufführung von „Laco“ aus dem Jahr 1997.Und siehe da, der große alte Meister des Protestes, jahrelang das „enfant terrible“ der Neuen Musik, wird in seinem 60. Lebensjahr mild.“Laco“ nennt sich im Untertitel „surreale Szene (simultanes Irren) für Sopran, Madrigal und fluktuierendes Ensemble“. Vier Sängerinnen wird wunderbarstes Singen abverlangt in unverkennbar belcantistischer Tradition. Ein solcher Ansatz macht auch historisch noch einmal deutlich, daß die große alte Kunst belcantistischer Koloraturen Ausdruck schlechthin ist, nicht nur Geläufigkeit der Gurgel. Angelika Luz, Silke Storz, Anja Paulus und Simone Häcker bevölkerten den Saal mit ihren szenisch imaginierten Gängen. Es gab erstaunliche Soli – die besonders die Perönlichkeiten der Sängerinnen ganz spezifisch zu erfassen schienen – , und es gab erstaunliche, hochempfindliche Ensembles.

Das Instrumentalensemble dazu wirkte fehl am Platz, was nicht nur die kleine, leicht hilflose Inszenierung suggerierte. Vielleicht war die Idee: Gegen die Magie der menschlichen Stimme, besonders der weiblichen, kommen keine Instrumente an, können höchstens geheimnisvolle Klangteppiche liefern, sich aber auch – wie der Posaunist – schamvoll in die Ecke stellen (Musikalische Leitung: Johannes Uhle).

Der Rest war Füllung: Geschenkt, denn es gab viele Grippekrankheiten. Angelika Luz glänzend mit einem (von neunzehn!) „Canti del Capricorni“ von Giacinto Scelsi, was den Stimmbändern Akrobatik abverlangt. Und die Oboistin Gudrun Reschke spielte Juliane Kleins „Aus der Wand die Rinne“. Es ist eine Art Klagegesang mit exzessivem Einsatz von Seufzern, der an alte Volkslieder erinnert. So blieb ein überragender Eindruck eines neuen Hespos.

Ute Schalz-Laurenze

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