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Überlebenshilfe Musik

■ Heute abend ist die Uraufführung „Der einsame Widerstand des Johann Georg Elser“ von Bernd M. Krause. Ein Porträt

Mit Bernd M. Krause verabrede ich mich zum Frühstück und stelle fest, daß ich ihn vom Sehen kenne: Er ist in zahllosen Konzerten mit zeitgenössischer Musik. Da in diesen Konzerten die Klientel nicht so groß ist, habe ich mich manchmal gefragt, wer das wohl ist. Nun weiß ich es: Bernd M. Krause, und er hat nicht nur die Initiative Johann Georg Elser, der am 8.11.1939 ein Attentat auf Hitler versuchte, auf die Beine gestellt, sondern sich seinem Thema auch kompositorisch genähert. Wie das?

Krause ist 1939 geboren. Er wurde mit Mutter und drei Geschwistern aus Hinterpommern vertrieben. In einem kleinen Dorf in der Nähe von Rendsburg hatte der kleine Junge nur Sehnsucht nach einem Klavier. Dazu fehlte das Geld. Später bekam er eine Geige, aber zu einer Aufnahmeprüfung in eine Musikhochschule reichte es nicht mehr. Krause machte eine Verwaltungslehre und ein Sozialarbeiterstudium. Dreißig Jahre lang arbeitete er im Amt für Soziale Dienste mit Jugendlichen, zuletzt als Sachgebietsleiter. Die Sehnsucht nach der Musik blieb. „Sie kann emotionale Sicherheit bieten wie keine andere Kunstform. Ich kann ganz klar sagen, daß ich ohne Musik, ja auch nur die Sehnsucht nach ihr, die damalige Zeit seelisch nicht überlebt hätte“.

Und so übt er mit über vierzig noch einmal Geige – „Ich bin wirklich stolz, daß ich ein Haydn-Konzert geschafft habe“ – und fängt ernsthaft mit dem Komponieren an. Er belegt jahrelang Vorlesungen des Hamburger Komponisten Jens Peter Ostendorf, die Bremer Komponistin Sigrid Ernst wird seine Privatlehrerin. Natürlich hat er Vorbilder: Helmut Lachenmann und Bernd Alois Zimmermann. Es ehrt ihn, daß die zu den Größten zählen. Ist das ein Doppelleben? Abgehobenheit von der Wirklichkeit wird so vielen Menschen vorgeworfen, die Kunst und dann auch noch hohe Kunst machen oder gar neue Kunst (was ja eigentlich selbstverständlich ist). Natürlich gibt es für ihn diesen Dissens nicht. Er leidet darunter und schiebt die Schuld allein denen zu, die die politische Verantwortung tragen für den sinkenden Stellenwert des Musikunterrichts: „Es ist nichts weniger als eine Katastrophe. Deswegen, weil in dieser chaotischen Welt alle die Musik zum Überleben brauchen“.

1995 las er in der taz einen Artikel über Johann Georg Elser, der ihn nicht mehr losließ. „Ich habe den Krieg verhindern wollen“, hatte der Schreinergeselle gesagt. Krause verschaffte sich die 130 Seiten Vernehmungsprotokolle und entwarf seine Komposition. Nicht nur Theodor W. Adorno hat ja gesagt, nach „Auschwitz keine Gedichte mehr“, sondern auch der Filmemacher Claude Lanzman war der Meinung, es gäbe eine Grenze des Darstellbaren, weswegen er nur die Protokolle seiner Interviews zusammenstellte. Steven Spielberg entschied das mit seinem Schindlerfilm anders. „Ich stehe da eher auf der Seite von Spielberg. Und zwar deswegen, weil die Musik so stark ist. Es gilt sich zu erinnern, und da ist die Musik ein unglaublich wichtiges Mittel“, sagt Krause.

Sein textlich auf den Vernehmungsprotokollen basierendes Melodram „Der einsame Widerstand des Johann Georg Elser“ ist geschrieben für 13 Instrumentalisten und vier Sprecher. Es arbeitet mit der Collagetechnik. Als Zeichen der Einsamkeit des Georg Elser wird die späte B-Dur-Sonate Franz Schuberts zitiert. Außerdem: Zwölftonreihe und klangliche Experimente. Der Komponist, der mit diesem Stück nun mit fast sechzig Jahren seine erste große Uraufführung hat, hat den jungen Komponisten Ezzat Nashashibi gewinnen könne, das Stück mit Bremer MusikerInnen einzustudieren; die 4 SprecherInnen sind von der Bremer Shakespeare Company und aus deren Umkreis (u.a. Rainer Iwersen, Uta Krause, Martin Schwanda). Ich trenne mich von Bernd M. Krause mit einer unglaublichen Neugier auf das Stück, dessen Partitur ich schon in der Hand hatte: Krause fragt sich nicht, ob dieser Zug nicht ebenso abgefahren ist wie der des Pianisten oder Geigers. Er macht das, weil es ein inneres Muß gibt. Das hat er vielen jungen Komponisten, die unentwegt nach dem Stil fragen, den sie wählen sollen, und längst auf den internationlen Festivals herumgereicht werden, voraus.

Ute Schalz-Laurenze

Heute abend, 19.30 im Gustav Heinemann-Haus in Vegesack. Außerdem: „ein/er/der/auf/stand“ – ein Performance von Jürgen Müller-Othzen und „Ein Mahnmal für Georg Elser – Ein Mahnmal für die Welt?“: Essay von Bernhard Wimmer.

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