: Der keltische Tiger und das keltische Karnickel Von Ralf Sotscheck
Statistiken sind eine großartige Erfindung, sie entblößen den Charakter eines ganzen Volkes. Wenn man zwei Erhebungen glauben kann, duften in Irland die Teppiche besser als die Menschen, was aber kein Hinderungsgrund für europäische Spitzenleistungen beim Sex ist. Wer möchte auch mit einem Teppich ins Bett gehen, selbst wenn er gut riecht? Jedenfalls benutzen die Irinnen und Iren mehr Teppich-Shampoo als Deodorant. 40 Prozent der unteren Einkommensschichten haben noch nie etwas gegen Achselnässe unternommen, bei reichen Leuten ist die Zahl niedriger. Geld stinkt eben nicht.
Vielleicht ändert sich das demnächst, denn die Menschen haben mehr Geld, jedenfalls im Durchschnitt. Der Wirtschaftsboom, der Irland zum „keltischen Tiger“ machte, hat bewirkt, daß zum typischen Haushalt eine Küchenmaschine, ein Mikrowellenherd, ein Telefon, zweieinhalb Kinder und ein Haustier gehören. Für letztere brechen allerdings schlechte Zeiten an, weil immer mehr Irinnen und Iren die Vierbeiner in die Wüste schicken. Zwar haben immer noch 40 Prozent aller Haushalte einen Hund, was europäischer Rekord ist, doch vor sieben Jahren waren es noch 47 Prozent.
Wo sind die ganzen Kläffer geblieben? Es geht immerhin um rund 50.000 Tiere. Ein Boulevardblatt vermutet einen Zusammenhang mit den vielen orientalischen Restaurants, die wie Pilze aus dem Boden schießen – jede Woche eröffnen auf der Grünen Insel zwei neue Gaststätten. Freilich haben die wenigsten exotische Gerichte auf der Karte, kaum die Häfte der Bevölkerung hat bisher orientalisch oder auch nur festlandseuropäisch gespeist. Irische Eßgewohnheiten sind eher traditionell, wichtigstes Grundnahrungsmittel ist und bleibt der Kartoffelchip, der in Irland „Crisp“ heißt, während sich hinter „Chip“ ein Pomme frite verbirgt.
Die Statistiker haben aber nicht nur in irische Küchen, sondern auch in die Schlafzimmer geschaut: Nicht mal ein Drittel der Bevölkerung hat jemals Verhütungsmittel angewendet, was auf der katholischen Insel nicht weiter verwunderlich ist. Oder lügen die Leute? Als die ersten Kondomautomaten in den achtziger Jahren aufgestellt wurden, vergaß ein Unternehmer, den Automaten in einem Pub im westirischen Castlebar zu füllen. Als er den Irrtum am Abend bemerkte, steckten bereits 34 Pfund im Gerät, doch keiner der Kunden hatte sich beim Wirt beschwert. Kondome sind in Irland eigentlich notwendiger als in allen anderen europäischen Ländern. Eine Umfrage der Kondomfirma Durex hat ergeben, daß Irinnen und Iren 114mal Sex im Jahr haben – ein Mal mehr als die britischen Nachbarn, während Italienerinnen und Italiener gar nur 105mal miteinander ins Bett gehen. Dabei fangen die IrInnen viel später an als ihre europäischen Nachbarn, nämlich erst mit siebzehneinhalb.
Nach dem keltischen Tiger nun also auch das keltische Karnickel. Wer hätte das gedacht? Die Iren jedenfalls nicht, sie sind die einzigen in Europa, die sich im Bett nicht für die Größten halten. Sie tippen eher auf Franzosen und Italiener. Erstaunlich ist, daß die Durchschnittsfamilie bei dem vielen Sex ohne Verhütungsmittel nur zweieinhalb Kinder hat. Aber seit Clinton sind die Definitionen für Sex ja recht verschwommen.
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