Lovin' Machines

Jon Spencer und Andre Williams zeigten im Columbia Fritz, wieviel Trash und Rock 'n' Roll Blues vertragen kann  ■ Von Gerrit Bartels

Der New Yorker Jon Spencer weiß sehr genau, was er mit seiner Band The Jon Spencer Blues Explosion tut und was er nicht tut: Zum Beispiel den Blues spielen. Das würde er auf keinen Fall, das könne er gar nicht, hat er mal in einem Interview gesagt. Trotzdem fängt das mittlerweile fünfte Blues- Explosion-Album mit dem Sample „This Is Blues Power“ an, das später in dem Song „Talk About The Blues“ aufgelöst wird in dem ausgesprochen dialektischen Refrain: „I do not play no Blues, I play Rock 'n' Roll!“

Spencer ist ein East-Village- Bluesmann, er zeigt als Lower- Eastside-Gewächs jungen, hippen Großstadtbewohnern, wie cool der Blues sein kann, wie man mit ihm umgeht, ohne in „Down Home“- Klischees abzugleiten. Und weil er dazu noch toll aussieht und sich immens gut bewegen kann, fällt ihm das nicht schwer.

Aber er ist auch gewissenhafter Forscher in Sachen Blues wie überhaupt in Sachen amerikanische Rockgeschichte. Für das letzte Album „Now I Got Worry“ tat er sich mit dem Südstaaten-Blueser R.L. Burnside zusammen, für „Acme“ hat er den alten R&B-Haudegen Andre Williams als „ausführenden Produzenten“ gewonnen (was immer das in diesem Fall heißen mag, wahrscheinlich hat Williams die Produktion einfach nur gehört, für gut befunden und dann abgenickt). Und trotzdem: Andre Williams' Auftritt als Support für die Blues Explosion im (leider übervollen, aber nicht unschönen) Columbia Fritz ist dann fast aufregender und erkenntnisreicher als alle Bemühungen Spencers, die Rock-Historie in die eigenen Songs einzuarbeiten. „It's startime“, kündigt einer aus Williams' Begleitband den Meister an: „Mister Andre Williams.“

Während seine Band in einheitlich nach C&A-Art gemusterten Hemden stiernackig und bewußt ausdruckslos die alten Garagentakte vorgibt, hat Williams sich schon schnell seiner Krawatte und seiner Nadelstreifenanzugjacke entledigt, um den Leuten zu zeigen, wo der Hammer bei ihm hängt: zwischen den Beinen natürlich. Williams ist so schmierig, wie ein Schmierlappen nur sein kann. Er ist „ein Mann, motherfuckers!“, was sonst, er verspricht seinen Chicks für die eine Nacht das Blaue vom Himmel, und sein Gesichtsausdruck sagt: Einhalten wird er das nie. Williams bewegt sich wie ein Autoverkäufer auf Brautschau, nicht wirklich möchte man mit ihm ein Bier an der Theke trinken, der ist so falsch wie er auch wieder ehrlich ist mit seinen ganzen Sexismen.

Mal ein Finger in die Höh', mal zwei, mal die Säge: Er hat alles im Programm, das wie selbstverständlich immer auf das eine hinausläuft: „Let Me Put It In.“ Und als ob das nicht reichen würde, signalisiert er das mit dem Zeichen, das jeder Fünfjährige auf der Welt kennt: Daumen und Zeigefinger der einen Hand bilden ein Loch, und der Zeigefinger der anderen...

Williams ist fast wieder zu gut, um Trash zu sein, die richtige Atmosphäre für den folgenden Spencer-Auftritt aber hat er hergestellt, die kriegt auch Alec „The Destroyer“ Empire mit seinem Set zwischen den beiden Shows nicht wieder aus dem Raum. Heiß ist es geworden, schweißheiß, und selbst die immer wichtige Frage, in welch farbigem Hemd Spencer wie immer supergut aussieht, verkommt da fast zur Nebensache. Dünn, seiden, verkruschelt und schwarz ist es, genauso glitzyglatty wie die seiner beiden Mitstreiter Bauer und Simins. Jetzt ist Blues-Explosion- Time, wenn ein Spruch inflationär fällt, dann: „Ladies and Gentlemen, it's a blues explosion!“

Spencer braucht aber ansonsten nicht mit dem Publikum zu kommunizieren, die vielen Männer und wenigen Frauen sind bereit, vom ersten Song an. Da wartet keiner auf spezielle Songs, auf Hits gar, Spencers Konzerte sind ein durchgehender Höhepunkt: Zwei Gitarren, ein Schlagzeug, Rock 'n' Roll, Punk, Zerstörung, Wiederaufbau, Soul, Sex.

Nur Spencer braucht die Länge seines Auftritts, um sich gezielt in den Blues-Rausch zu spielen, den er sich vorstellt: Immer durchgeknallter windet er sich um die eigene Körperachse, immer ekstatischer wird der große, dünne Mann, immer höher werden die Sprünge. Dieser Art von Rock 'n' Roll wird man wahrscheinlich ein Leben lang nicht müde, vielleicht weil sie bei allem Konzept etwas enorm Bodenständiges hat, sie einfach rockt und sich nicht anbiedert. Vielleicht weil Spencer wirklich ohne jeden falschen Ton, ohne irgendeine dumme oder falsche Gefühligkeit auskommt. Da macht es auch gar nichts, daß er am Ende wie jeder 08/15-Rocker stagedived und sich vom Publikum herumreichen läßt.