■ In Fußballand: Fußballprofis leben am Rande des Größenwahns. Gut so!
Als wir vor einigen Tagen Fußball spielten, habe ich sieben Tore geschossen. Das hatte damit zu tun, daß wir hinten geschickt im Raum gestanden und dabei nervenstark unsere Position gehalten haben, während wir vorne variabel spielten und mit unseren Positionswechseln den Gegner immer wieder in Verlegenheit stürzten. Aber es ist eben auch jemand nötig, der die Murmel in die Kiste haut. Und das eiskalt. Sieben Tore, sage ich nur.
Stefan Beinlich ist ein sympathischer Gesprächspartner, der sich von vielen seiner Berufskollegen nicht nur dadurch unterscheidet, daß er pünktlich zu Interviews kommt. Nett läßt's sich mit ihm plaudern, wobei er offen und freundlich ist. „Ich weiß sofort nach dem Abpfiff, wie ich gespielt habe“, sagt er. Das ist in seinem Fall wahrscheinlich auch kein großes Problem, denn meist spielt Beinlich gut.
Den Luxus der Selbstkritik leisten sich ansonsten nur wenige Fußballprofis, zumeist fasziniert die Differenz zwischen der Selbst- und der Außenwahrnehmung ihrer Darbietungen. So mußten neulich die Spieler des MSV Duisburg ihren Keeper Thomas Gill überreden, beim Warmmachen vor dem Spiel doch bitte noch etwas im Tor zu bleiben. Gill hatte gerade seinen Stammplatz verloren, und als die neue Nummer eins in die Umkleidekabine verschwand, wollte der Norweger nicht die Rolle des Ersatztorwarts einnehmen, zu der es gehört, vor dem Spiel die Testschüsse seiner Mannschaftskameraden auszuhalten. Gill wollte die Rückstufung einfach nicht einsehen, obwohl er in dieser Saison bereits ein gutes halbes Dutzend haltbarer Schüsse ins Tor durchgelassen hat.
Auch in weniger gravierenden Fällen ist das Staunen groß. Wenn Stürmer über Fehlschüsse, Mittelfeldspieler über Fehlpässe und Verteidiger über Stellungsfehler reden, interpretieren sie das mit Sicherheit als einmalig und durch widrige, wenn nicht gar schicksalhafte Umstände zustande gekommen. Der fehlerhafte Platz, der flattrige Ball, die Stimmung in der Mannschaft, der zwickende Muskel, der starke Wind, kein Wind oder einfach Pech, irgendwas wird schon schuld sein.
Kein Wunder, wird nun manch einer rufen, der immer schon der Ansicht war, daß es sich bei Menschen, die ihr Geld mit Fußballspielen verdienen, um rechte Dummköpfe handelt. Wie soll man von denen die schöne Kulturleistung der Selbstkritik erwarten? Gar nicht, ist selbstverständlich die richtige Antwort, denn Fußballprofis leben, wie andere Leistungssportler auch, meist am Rande des Größenwahns. Und das ist gut so.
Schließlich müssen die Spieler zunächst einmal davon ausgehen, daß sie, wenn auch nicht gleich die größten, zumindest doch einzigartige Vertreter ihrer Spezies sind. Wie sonst sollte es ihnen gelingen, sich zu den Gipfeln hinaufzuspielen? Und wie soll man mit dem Bewußtsein der eigenen Begrenztheit an Jürgen Kohler vorbeikommen? Wenn man nicht Stefan Beinlich ist?
Der Tag, an dem ein Fuballprofi zu der Einsicht kommt, daß er in seiner Karriere wohl doch nicht alle Kopfballduelle gewinnt, häufig auf schnellere Gegenspieler trifft oder bei Bedrängung den Ball mal besser ins Aus schießt, kommt früh genug. Aber keine Sorge: Der Größenwahn wird sich dann nur differenzieren. Und ein Trainer wird nie grundsätzliche Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Seinen anmelden. Es stimmen nur gerade die Umstände irgendwie nicht, zu schlecht ist kein Spieler – bis er in die zweite Liga verkauft wird.
Die Diskrepanz zwischen erlebtem Spiel und einem annähernd objektiv zu beurteilenden Spiel gehört zum Fußball. Das weiß auch jeder Hobbykicker. Vielleicht ist die Wahrheit über meine heldenhaften sieben Tore also die, daß es nur sieben von fast 50 Treffern bei einem Freizeitkick in der Halle waren, an dem acht mehrheitlich schwer rauchende Schreibtischtäter und Sesselfurzer teilnahmen. Andererseits hatte unser Spielmacher Rainer schon recht, als er nachdenklich analysierte: „Ich sag's dir: Zwischendurch haben wir echt super kombiniert.“
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