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Bedächtig mit Methode und Melancholie

■ In seiner vorletzten Kinorolle gibt Marcello Mastroianni den zögerlichen Kulturredakteur, der im Alter plötzlich auf „die Stimme seines Herzens“ hört: Roberto Faenzas „Erklärt Pereira“

Da geht er, der Dr. Pereira. Gleichmütig, beobachtend streift er durch sein geliebtes Lissabon, unter dem Arm trägt er Manuskripte, Übersetzungen französischer Schriftsteller für die samstägliche Kulturbeilage der Stadtzeitung Lisboa. Er ist deren stolzer und einziger Kulturredakteur.

Auf dem Weg in seine kleine Büro-Oase mit dem Ventilator, der, genau wie der übergewichtige und herzkranke Pereira, nicht mehr richtig funktioniert, wandert er durch die sonnendurchflutete Stadt oder sitzt in der vor sich hinzuckelnden Straßenbahn. Und er übersieht die Zeichen der Diktatur unter Salazar geflissentlich.

1938, sechs Jahre nach dem Amtsantritt Salazars, scheinen die „Staatsschutzpolizei“ und die Miliz allgegenwärtig, Repressalien gegen die Zivilbevölkerung sind an der Tagesordnung. Aber Pereira erklärt, daß ein Kulturredakteur sich nicht für Politik zu interessieren habe. Im Plauderton, genau wie in der ergreifenden Romanvorlage von Antonio Tabucchi, erzählt eine Off-Stimme von der sich langsam verändernden Wahrnehmung des einsamen Witwers Pereira, die begann, als er zufällig dem jungen Pärchen Monteiro Rossi und Marta begegnet.

Pereira, der selber viel ans Sterben denkt, ist begeistert von Monteiro Rossis Doktorarbeit zum Thema Tod und akquiriert den jungen Mann, um etwaige Nachrufe für berühmte Dichter und Schriftsteller zu schreiben: man müsse schließlich vorbeugen. Aber Monteiro Rossi und seine Freundin erweisen sich als Staatsfeinde und „Subversive“. Statt den Kontakt zu den beiden abzubrechen, wie es vernünftig wäre (erklärt Pereira), fühlt er sich jedoch zu ihnen hingezogen. Er hilft sogar Monteiro Rossi, als dieser Unterschlupf vor der Polizei sucht, die ihm als Widerstandskämpfer auf den Fersen ist. Am Ende kommt es zu einer Katastrophe, die Pereira endgültig von seiner politischen Überzeugung beziehungsweise seiner ausgesprochenen Politikverdrossenheit kuriert.

Marcello Mastroianni war 73, als er den zögerlichen Kulturredakteur gab, der im Alter plötzlich auf „die Stimme seines Herzens“ hört und aktiv in die Politik seines Landes eingreift. Er spielt den Dr. Pereira in dem Film von Roberto Faenza („Copkiller“, „Jonas, der im Bauch des Wales lebte“) so liebenswürdig, so einsam und einfühlsam, daß die Nebendarsteller ganz schön mit ihren durchweg komplex und interessant gezeichneten Rollen zu kämpfen haben; ob die Concièrge (Marthe Keller), die sich zum Polizeispitzel entwickelt, ob der schwitzende, schwer atmende „Don Camillo“-Pfarrer, der Peirera ins Gewissen redet, oder der Kurarzt und Freudianer Dr. Cardoso (Daniel Auteuil), der dem Kräuteromelette- und zuckersüchtigen Pereira eine Anti-Cholesterin-Diät verordnet und sich als würdiger Gesprächspartner und Literaturexperte erweist.

Mastroianni mit einer runden Brille, die seine immer leicht erschreckten, verwunderten Augen vergrößert, porträtiert den alten Journalisten mit kleinen, rührenden Gesten. Seine Hände zittern, oft tupft er sich mit einem Alte- Männer-Taschentuch den Schweiß ab, er entwickelt wunderliche Marotten wie den Dialog mit dem Foto seiner Frau. Der große Mann des italienischen Kinos starb ein Jahr und einen Film später. Als kleinen Mann Pereira sieht man Mastroianni in einer wunderschönen, aufrührenden und nachdenklichen Rolle.

Die Kamera fängt die Anmut der Stadt mit ihren sonnigen, offenen, hübsch gekachelten Zimmern in harmonisch komponierten Bildern ein. Oft, vor allem bei den Dialogen, befindet sich der Protagonist im Zentrum des Bildes und spricht so direkt zum Zuschauer. Am Ende, wenn Pereira nach seinem politischen Erwachen erklärt, er habe das Gefühl, daß sein Alter ihn nicht mehr drücke, ist vor allem eines bewiesen: Man ist nie zu alt, um sich zu verändern. Jenni Zylka

„Erklärt Pereira“. Regie: Roberto Faenza. Mit Marcello Mastroianni, Joaquim de Almeida, Daniel Auteuil u.a. I/F 1995, 103 Min.

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