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■ Immer knapp am Kratzpunkt: Vom Cartoonisten Beck gibt es jetzt ein BuchHäuptling Spitze Feder

Er kann ganze Seiten füllen und halbe; in Zeitung und im Buch. Und Vignetten streut er dazwischen wie nix. Manchmal koloriert er seine Zeichnungen. Halt: Nicht er koloriert, sondern Yvonne. Und auch nur für den Schwarzwälder Boten. Und dann ist der hartkantige Sessel mit grünem Buntstift ausgemalt; drin sitzt, versteckt hinter einer Zeitschrift, die braungetigerte gelbe Katz. Sie liest den New Yorker. Halt: Die Katz liest natürlich den MEW YORKER, den für schlaue Katzen.

Beck liest, um sich übers Weltniveau im Cartoon zu informieren, den New Yorker. Er gehört doch eigentlich längst dazu – zur Champions League; und wenn's nach mir ginge, hätt' er noch dieses Jahr das Titelblatt des New Yorker. Und dann den Sammelband bei Jochen Enterprises – und der ist jetzt da: „Schnee Schnee“, schönstes Titelblatt seit der Gutenberg-Bibel! Und er hat's selber koloriert!

Ich bin in seinen Strich vernarrt und folge entzückt der Spur seiner federführenden Hand. Nicht die flotte Schreibbewegung ist's, sondern steil setzt Beck die spitze Feder an, knapp am Kratzpunkt. Ja – die SPITZE FEDER; hier stimmt das alte Klischee für Satire. Sein Strich: scharf, ja hart, zierlich zugleich und ruppig fährt er mit deutlicher Entschiedenheit übers Blatt und erschafft Eckiges. Und aus den Kästen und Quadraten, die er flachlegt, werden durch Zutaten und Extras aus Becks Strich Männer, Zimmer, Frauenzimmer, Häuser und Straßen. Er stellt sie wie von oben gesehen auf eine leicht abschüssige Bühne, die Linien der Scheuerleisten und Wandkanten und Türfüllungen schaffen Raum und Schauplatz für sein Personal. Mit charakteristischen Requisiten füllt er das Biotop seiner Zeitgenossen, Muff und Milieu stimmen plötzlich.

Im Frisörsalon liegt kleingehäckselter Strich – die Haare werden nachher ausgefegt. Föhn, Spray, Spiegel, Schere, Dame. Mit unbewegter Miene sagt der Frisör: „Diese Frisur wird Ihr Leben verändern.“ Immer sprechen Becks Leute ohne mimische Regung in handgeschriebenen Großbuchstaben aufs Blatt ins Bild, meist ohne Sprechblase drum rum. Sie sagen: „Kaufen Sie Postkarten? Von Rindern gemalt“, oder „Witz komm raus“. Unbewegten Gesichts liest auch einer auf einer großen, großen Schriftwand: „Sie befinden sich auf einer manierierten Zeichnung.“

Doch hat er solche koketten Selbstreflexionen nicht nötig. Er hat Architekt gelernt – die Klarheit des Baus stellt er her mit Strich auf Weiß, er inszeniert Alltagsstücke, und oft illustriert er unbewegt jene Vorgänge aus dem Fänsän, die wir Politik nennen. Früher gehörte er zur Graphikergruppe „PGH Glühende Zukunft“, heute ist er einzigartig, ob er illustriert, Politcartoons für die taz liefert, lithographiert oder radiert.

Auf abschüssigem Blatt steht so ein Mr. Viereck mit Einkaufswagen und liest laut in handgeschriebenen Großbuchstaben vor: „Kleingedrucktes: MIT DEM EINFÜHREN EINES MARKSTÜCKS (CHIP) NIMMT DER KUNDE DIE SELBSTZERSTÖRUNG SEINES GEHIRNS IN KAUF.“ Becks Strich kratzt am Lack, groß ist seine Kunst und getigert seine Katz', die Mew Yorker liest. Howgh! F.W. Bernstein

Beck: „Schnee Schnee“. Jochen Enterprises, 112 Seiten, 17 Mark 90. ISBN 3-930486-54-7

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