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„Rundum-sorglos-Paket“ für die 620-Mark-Jobs

■ Die Kleinverdiener-Jobs werden steuerfrei. Arbeitgeber müssen den vollen Krankenkassen- und den halben Rentenkassenbeitrag zahlen. Arbeitnehmer haben nur Rentenansprüche, wenn sie ihre Hälfte auch begleichen. Verpflichtet sind sie dazu nicht

Bonn (taz) – Bundeskanzler Gerhard Schröder hat gestern im Bundestag eine überraschende Lösung für den parteiinternen Streit um die 620-Mark-Jobs präsentiert. Die Steuerpflicht soll künftig entfallen. Dafür sollen die Arbeitgeber ab der ersten Mark Sozialversicherungsbeiträge zahlen: den Krankenkassenbeitrag voll, den Rentenbeitrag zur Hälfte. Die Arbeitnehmer können sich entscheiden, ob sie ihre Hälfte des Rentenbeitrags zahlen. Nur dann erwerben sie Ansprüche aus der Rentenversicherung.

Die Regelung soll ab 1. April gelten. Erst dann tritt auch die Senkung der Rentenbeiträge um 0,8 Prozent in Kraft, nicht wie ursprünglich vorgesehen am 1. Januar. Die Einkommensgrenzen werden in West- und Ostdeutschland einheitlich auf 620 Mark (bisher 520 im Osten) festgeschrieben. Schröder sagte, durch die neue Regelung solle die „Erosion der Sozialversicherungen“ gestoppt werden. Handelsketten würden in Zukunft nicht mehr Vollarbeitsverhältnisse in drei 620-Mark-Jobs umwandeln können.

Für die Arbeitgeber, die bisher Steuern für die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse gezahlt haben, bleibt die Belastung in etwa gleich. Statt des pauschalen Steuersatzes von 20 Prozent sollen sie nun 22 Prozent Sozialversicherungsbeiträge zahlen.

Das Finanzministerium hat durch den Steuerausfall Einbußen von etwa vier Milliarden Mark hinzunehmen. Durch die Mehreinnahmen für die Rentenkasse kann allerdings der Bundeszuschuß hierfür reduziert werden, so daß der Verlust nicht gravierend ausfallen wird.

Vor allem Gesundheitsministerin Andrea Fischer kann sich freuen. Sie hatte 1,7 Milliarden Mark aus der Neuregelung der 620-Mark-Jobs für die Krankenkassen eingeplant, mußte aber nach dem Hickhack der letzten Tage damit rechnen, vielleicht leer auszugehen. Nun bekommt die gesetzliche Krankenversicherung wohl mehr Geld in die Kasse als erwartet.

Allerdings ist die neue Regelung möglicherweise verfassungswidrig. Darauf wies der CDU-Sozialexperte Julius Louven hin. Sie könnte gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstoßen. Denn ein Arbeitnehmer, der beispielsweise 3.000 Mark aus regulärem Arbeitsverhältnis und einem 620-Mark-Job verdient, braucht nur 2.380 Mark zu versteuern. Dagegen muß ein Arbeitnehmer ohne 620-Mark-Job die vollen 3.000 Mark versteuern. Markus Franz

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