: Dominanz des rechten Winkels
Vorbilder dekonstruieren, den Ausstellungsraum entideologisieren und neu definieren: „minimalisms“, eine Ausstellung mit Arbeiten minimalistischer Kunst der 90er Jahre in der Akademie der Künste ■ Von Sebastian Schwarzenberger
Minimal ist extrem. Meist am unteren Ende einer Skala angesetzt, muß es nicht unbedingt extrem schlecht bedeuten. Minimal- art allerdings war durchaus negativ gemeint, denn der Kritiker Richard Wollheim konnte in den 60er Jahren nur einen extrem geringen Kunstgehalt in den Werken einiger amerikanischer Künstler entdecken. Auch Clement Greenberg, Cheftheoretiker der US- Kunst, blieb skeptisch: „Minimalistische Arbeiten können als Kunst gelesen werden, wie fast alles heutzutage – sogar ein Tisch, eine Tür oder ein leeres Blatt Papier.“ Die Abgrenzung von Kunst und Nichtkunst war auch 50 Jahre nach Marcel Duchamps Ready-mades und Kasimir Malewitschs Schwarzem Quadrat heißer Diskussionsstoff.
Minimal hat sich als Begriff dennoch durchgesetzt: Er steht für eine extreme Reduktion von Farbe und Form, von Materialvielfalt und -bearbeitung und für die Ausblendung von metaphorischen Inhalten. Die Werke der klassischen Minimal-art von Donald Judd und Carl Andre, Sol LeWitt, Dan Flavin und Robert Morris sollen in erster Linie auf sich selbst verweisen. Inwiefern sie damit ideologisch (Michael Fried) oder zunächst bloß ästhetisch (Benjamin H. D. Buchloh) waren, ist umstritten.
Der Frage nach den „Rezeptionsformen des Minimalismus in der Kunst der 90er Jahre“ wird nun in der Ausstellung „minimalisms“ in der Akademie der Künste nachgegangen. Sie ist Bestandteil eines Festivals zu Minimalismus in Kunst, Musik und Film mit Konzerten, Symposien, Ausstellung und Filmen in Berlin. Der paradoxe Plural der Stilbezeichnung soll die Festschreibungen eines Labels zur Disposition stellen, so die Organisatoren Christoph Metzger und Nina Möntmann. Veranstalter ist die Gesellschaft für Neue Musik in Kooperation mit der Akademie der Künste, dem Podewil und den Freunden der Deutschen Kinemathek.
An die Konzerte, die Anfang Oktober im Podewil stattfanden, erinnert in der Akademie die erneut aufgestellte Soundbar Werner Durands mit Werken von Philip Glass, LaMonte Young und anderen Heroen der Minimal-music der 60er Jahre. Anders als bei den Konzerten stehen in der Ausstellung aber Werke der 90er Jahre im Mittelpunkt. Eine minimalistische Haltung findet sich zweifellos in den Arbeiten der neun jungen, zumeist europäischen Künstler: in der Ortsbezogenheit, der Dominanz des rechten Winkels, den Wiederholungen, der Verwendung weniger „unkünstlerischer“ Materialien sowie in dem Streben nach einem spontanen, persönlichen Erlebnis für den Betrachter.
Was ist nun wirklich charakteristisch für einen neuen Minimalismus? Vieles davon ist bereits ästhetisches Gemeingut. Doch erst in der jüngeren Kunst, so eine These der Ausstellungsmacherin Nina Möntmann, wird das „Projekt erfüllt, den Ausstellungsraum zu entideologisieren und neu zu definieren“. Angeknüpft werde damit nicht nur an die Minimal-art, sondern auch an die Institutionskritik der 70er Jahre.
Dabei ist Entideologisierung zunächst ganz praktisch gemeint. Doch Sachlichkeit kann im Zeitalter der Genehmigungen teuflisch kompliziert sein. Dies bekamen Attila Menesi und Christoph Rauch bei ihrem Versuch zu spüren, der Akademie einen „Leitfaden Architektur und Ausstellungstechnik“ zu erarbeiten. Am Ende wollte sich die Institution „aus Zeitgründen“ nicht mehr mit der Herausgeberschaft desselben schmücken und die gesamte Auflage wurde kurzerhand zur Künstleredition ... Während dieser Leitfaden also zukünftigen Organisatoren die Arbeit nicht erleichtern darf, haben die beliebig zusammenzusetzenden Bausteine aus Recyclingmaterial von Dan Peterman bereits in den ersten Ausstellungstagen als Sitzmöbel beziehungsweise Podium ihren Zweck erfüllt.
Die meisten Werke ordnen sich den Bedürfnissen der Betrachter unter. Und so können extrovertierte Besucher auf den grellen Laufsteg Tobias Rehbergers (Größe der Grundfläche des Frankfurter Portikus) oder in die Aluminiumkoppel (einem Boxring ähnlich) wie Stefan Kern steigen. In dem Maß, wie sich die Person der KünstlerInnen zurückzieht, werden die BetrachterInnen zum Bestandteil der Werke.
Vor allem aber werden die Vorbilder dekonstruiert. Steht bei Rehberger die Verschmutzung der grellen Lauffläche den soliden Platten Carl Andres entgegen, verwendet Andrea Rostásy gar symbolisch Deckenelemente eines Gebäudes der 60er Jahre, so spielt Heimo Zobernig mit seinen aneinandergereihten beziehungsweise aufeinandergelegten Stellwandplatten auf die Raumkonstruktionen eines Donald Judd an. Doch auch Zobernig integriert den Verfall, indem er die Platten – eigentlich Ausstellungsmobiliar der Akademie – teilweise im Hof der Witterung aussetzt. Ihn interessieren besonders die Abweichungen vom alltäglichen Minimalismus. Seine Oberflächen sind gebraucht und die Stellwände sind nur Stars für eine Ausstellung, denn die Teile, die nicht verrotten, werden im nachhinein wieder ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt.
Schon mancher Mitarbeiter des Hauses konnte übrigens der Versuchung nicht widerstehen, den in einer Ecke abgestellten „Garbage Bag“ von Ceal Floyer wegzuräumen. In dieser Arbeit allerdings soll die Handlung des Betrachters eigentlich nur angedeutet werden, so wie die prall gefüllte Müllsack eine Schwere nur vortäuscht. Drinnen ist lediglich Luft.
„minimalisms“, bis 20. 12., Akademie der Künste, Hanseatenweg 10; Di.–So. 12–19 Uhr; Katalog: 24,80 DM. Parallel findet ein Filmprogramm im Arsenal statt.
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