: Labile Ruhmessäulen der Moderne
Kunstgeschichte als Archiv von gleichzeitig gültigen Geschichten: „Fast Forward/Archives“ erprobt Bezüge im Kunstverein ■ Von Hajo Schiff
Einer kühlen, weißen Skulptur in Tropfenform à la Arp oder Moore einfach einen Sattel auflegen: Mit solchen respektlosen Gesten der Aneignung deuten Künstler wie Markus Oehlen in den achtziger Jahren surrealistisch-minimalistische Tradition um. Und auch die längst sanktionierte Pop-Art läßt sich noch besser verpoppen: Eine andere Plastik, ähnlich der Nanas von Niki de Saint Phalle, wird auf Knopfdruck bühnenmäßig in eine Aura aus Nebelschwaden gehüllt.
In der seit Freitag zu sehenden vierten Staffel des ambitionierten Ausstellungsprojekts fast forward im Kunstverein ist solcher Kampf gegen den Purismus der Moderne ein zentraler Punkt. Anhand vieler Arbeiten zeigt sich jenes Phänomen, das griffig, aber unglücklich Postmoderne genannt wird. Geschichte, also auch Kunstgeschichte, kann traditionell als stete Entwicklung oder zyklische Wiederkehr des Immergleichen gedacht werden. Aktuell und eher unbequem ist es, sie als ein großes Archiv von gleichzeitig gültigen Geschichten zu denken.
„Spartakus-Catering“ ist ein Zeichen für die Ambivalenz der Vereinnahmung historischer Ereignisse zwischen Staatsfeier und Eventkultur. Heimo Zobernig hatte diesen Sommer am Berliner Parkdenkmal für die erste Zentrale des Spartakusbundes in der Chausseestraße ein provisorisches Festzelt aufgebaut und das wurde prompt kommentiert: An der schützenden Plane manifestierte sich das weitverbreitete Unbehagen an aktueller Kunst in dem gesprühten Satz: „Da fragt ma sich doch och: Wat isn ditte?“
Die Frage kann nicht mehr verbindlich beantwortet werden. Wie der Ausstellungstitel archives schon sagt, steht ein komplettes Archiv von Deutungen zur Verfügung, und nichts davon ist allein gültig: Selbst die Ruhmessäulen für herausragende Persönlichkeiten sind labil und aus disperaten Bruchstücken gebaut, wie es eine gelungene Installation von Bernhard Prinz vorzüglich demonstriert.
Oft reicht schon eine leichte Verschiebung, um den Wandel von Bezügen zu zeigen: Olafur Eliasson verkippt ein Feld isländisches Moos vom Boden an die Wand, Peter Halley gibt reduzierter Farbfeldmalerei gegen alle Regeln abbildende Inhaltlichkeit, John Armleders Neoninstallation sieht aus, als wäre eine Dan Flavin-Arbeit von der Wand gefallen, und Ian Wallace untersucht in seinen Foto-Bildern einer Öko-Demonstration die Möglichkeit des postmodernen Historienbildes. Das alles ist intelligent und findet über den Widerspruch und die Theorie hinaus zu einer ästhetischen Form, die die Beschäftigung vor Ort lohnend macht.
Der vierte Teil von fast forward ist noch nicht der letzte. Doch was bleibt für den borderline betitelten Abschluß im nächsten Jahr, wenn schon jetzt alles in Frage gestellt wurde, was an Kunstpraxis heute anzutreffen ist? Da es wenig sinnvoll erscheint, die künstlerischen Aktivitäten jenseits des Kunstraumes wieder in den Kunstraum zurückzuholen, wird sich der Kunstverein im Februar dunkel präsentieren und via Video einen Einblick in Interventionsfelder jenseits der Grenze bieten. Und dann erscheint auch irgendwann ein Buch, das alles auf den Punkt bringt.
Kunstverein, Klosterwall 23, bis 17. Januar 1999. Am Sonntag, den 29. 11. um 12 Uhr führt Direktor Schmidt-Wulffen durch die Ausstellung.
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