: Versöhnung erneut gescheitert
Chinas Präsident Jiang Zemin stößt in Japan auf die Unbeugsamkeit der Liberaldemokraten, die sich wieder nicht für die japanischen Kriegsgreuel vor und während des Zweiten Weltkriegs entschuldigen wollen ■ Aus Tokio Georg Blume
Japans Kaiser Akihito und Chinas Präsident Jiang Zemin lächeln, als sie den roten Teppich vor dem Kaiserpalast in Tokio verlassen und den fähnchenschwingenden Schülern im blauen Marineanzug zuwinken. Doch die zwei alten Männer lächeln nur zum Schein. Ihr gestriges historisches Treffen ist erst die zweite Begegnung der beiden Staatsoberhäupter überhaupt und die erste ihrer Art auf japanischem Boden. Kein Zweifel, daß sowohl Akihito als auch Jiang den Erfolg wünschen. Doch sie scheitern einmal mehr an der unsichtbaren Macht der japanischen Liberaldemokraten.
Die Begrüßungszeremonie des Kaisers zu Ehren seines chinesischen Gastes ist längst vorüber, da steht Japans Premier Keizo Obuchi immer noch am Rand des roten Teppichs, um auch den letzten Gast noch zu verabschieden. Daß dieser bis vor Monaten noch international namenlose Politiker Herr der Geschäfte zwischen der größten Industrienation Asiens und dem bevölkerungsreichsten Land der Welt ist, läßt sich aus der Situation schwer ablesen.
Doch schon zwei Stunden später ist es soweit. Der Höflichkeiten mit dem in Japan politisch machtlosen Kaiser sind genug ausgetauscht, und Jiang muß den stolzen Schauplatz des Tenno-Palastes mit dem unauffälligen Bungalow des japanischen Regierungschefs tauschen. Da aber bekommt er gerade das nicht zu hören, was er hören will. Zwar ist der unscheinbare Gastgeber Obuchi voll des Lobes für den „ersten Japanbesuch eines chinesischen Staatschefs in der 2.000jährigen Geschichte der Freundschaft beider Länder“. Doch dann geht der unter den Japanern wegen seines fehlenden Charismas unpopuläre, aber dafür in seiner Partei LDP wegen seiner taktischen Begabungen angesehene Regierungschef ohne ein Wort des Bedauerns über die japanischen Kriegstaten in China zur Zukunft über: denn die Rollen beider Länder in der Welt seien heute so wichtig, daß ihre Beziehungen nun „eine neue Phase“ erreichen müßten.
Dem chinesischen Präsidenten muß in diesen ersten Minuten des Gipfelgesprächs der Atem gestockt haben. Hat er nicht gerade mit einer beispiellosen Geste den chinesischen Versöhnungswillen unter Beweis gestellt? Sein Kommen allein sollen die Japaner zu würdigen wissen. Doch sie tun es erst auf Nachfrage. Widerwillig und desinteressiert gibt Obuchi schließlich Auskunft über das Thema, das der chinesische Regierungssprecher noch am gleichen Abend als den „wichtigsten politischen Punkt“ für China in Japan bezeichnet. Natürlich ist das die Vergangenheit.
Obuchi und mit ihm ein großer Teil der Liberaldemokraten, die Japan seit 1955 mit Ausnahme von zehn Monaten ununterbrochen regieren, haben genug von Vergangenheitsbewältigung auf chinesischen Befehl. Schon 1972, bei der ersten japanisch-chinesischen Regierungserklärung nach dem Krieg, war von Japans Schandtaten in China im Zweiten Weltkrieg die Rede gewesen. Dann fuhr Akihito 1992 als erster japanischer Kaiser der Geschichte nach China und drückte sein „tiefstes Bedauern“ über das Kriegsgeschehen aus.
1995 folgte die bislang weitgehenste japanische Kriegsentschuldigung des damals in einer Koalition mit der LDP regierenden sozialdemokratischen Premiers Tomiichi Murayama. Auch gestern beruft sich Obuchi auf Murayama und drückt gerade damit seine Verachtung für das Thema aus: denn dem moralisch integeren Murayama wurde schon am Tag nach seiner Erklärung von LDP-Koalitionskollegen gesagt, daß er in der Vergangenheitsfrage nur seine persönliche Meinung vertrete. Wie sollte China damals einem Regierungschef glauben, dem nicht einmal die eigene Regierung gehorchte?
Doch das Gespräch mit Obuchi kommt nicht weiter, und die anschließende Erklärung beider Seiten schmeckt nach einem Reinfall. Denn ihre ursprünglich geplante beiderseitige Unterzeichnung kommt nicht zustande und drückt den Ärger der Chinesen über das mangelnde Schuldbekenntnis der Japaner aus. Pekings Regierungssprecher spricht diplomatisch von dem bleibenden „Problem mit der Geschichte“, und Tokios Sprecher kontern, dies Problem sei eine „Angelegenheit von chinesischem Interesse“. Dabei schien die Versöhnung schon greifbar nahe im Angesicht des liberalsten Kaisers, den Japan je hatte, und eines chinesischen Präsidenten, der diplomatische Manöver wagt wie vor ihm kein Herrscher im Reich der Mitte.
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