: Angehörige wollen Gewißheit
In Sarajevo beginnen Experten, Massengräber zu öffnen. An drei Stellen sollen bis zu 150 Serben verscharrt sein. Aufschluß kann erst eine Autopsie bringen ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder
Der Friedhof Lav in Sarajevo liegt auf einem Hang im Stadtteil Kosevo. Am Rande des Friedhofs gräbt ein Team von serbischen Experten die Erde auf, um an die dort liegenden Leichen zu gelangen. Im Tal unten gräbt ein Bagger, umgeben von SFOR-Soldaten und Beobachtern der internationalen Gemeinschaft. Auch Jovo Roslić, Präsident der Verfassungskommission der Republika Srpska, beobachtet die Vorgänge. 16 Leichen sind schon ausgegraben und liegen, in Plastikbahnen gehüllt, am Rande des Friedhofs aufgereiht.
Noch könne man nichts Genaues sagen, erklärt Roslić, man müsse eine Autopsie vornehmen. Nach Zeugenaussagen vermute er, daß unter den hier Begrabenen Leute sind, die 1992 ermordet wurden. Ob die von serbischer Seite genannte Zahl von 150 Leichen aufrechtzuerhalten ist, kann er nicht sagen, solange die anderen Gräber nicht geöffnet sind.
Sein Gegenüber Jasmin Odobasić widerspricht. Er ist der Vorsitzende einer Kommission zur Untersuchung von Massengräbern auf der Seite der bosniakisch-kroatischen Föderation. Odobasić weist darauf hin, daß die Leichen in Einzelgräbern liegen, Serben, darunter Muslime und Kroaten. „Das waren Opfer der Angriffe, die nicht identifiziert werden konnten.“ Enver Abdić, Chef eines Bestattungsinstituts, bestätigt das. Seine Firma habe damals diese Menschen begraben. Sie seien nicht identifizierbar gewesen.
Aussage steht gegen Aussage. Einige Angehörige sind gekommen. So die jetzt in der Republika Srpska lebende Schwester von Risto Jokić, der zu Beginn des Krieges 1992 umgekam. Damals seien Maskierte in ihr Haus gekommen und hätten erzählt, ihr Bruder sei an der Front gefallen. Sie hätten ihr diesen Platz gezeigt, wo er begraben sei. Jetzt hat sie Gewißheit.
Bei diesem ersten Platz scheint es sich um Einzelgräber, nicht aber um ein Massengrab zu handeln. Die Untersuchungen würden die Todesursachen aufdecken, meinen Mitglieder des Ausgrabungsteams. Bei der zweiten Stelle ist Jovo Roslić sicher. „Dort liegen nach Zeugenaussagen 28 Menschen, die 1992 ermordet worden sind.“
Der Bagger ist noch nicht fündig geworden. Auch die bosniakischen Beobachter schließen nicht aus, daß hier Leichen liegen könnten, die 1992 in Kazani ermordet worden sind. Sie glauben aber eher, daß die dort Ermordeten in einem dritten Grab liegen, das auf dem Berg Trebevic gelegen ist. Die Mörder der serbischen Zivilisten, Leute des kriminellen Armeekommndeurs Muzan Topalović, seien 1994 in der damals noch von Serben belagerten Stadt zu langjähriger Haft verurteilt worden.
Die Ausgrabungen werden in den nächsten Wochen weitergehen und wie die Ausgrabungen auf der anderen Seite, in Modrica und in der Nähe von Sanski Most, wo Hunderte von muslimischen Zivilisten in Massengräbern liegen sollen, für Diskussionen über die Vergangenheit sorgen. Hoffnungsvoll stimmt, daß Serben in Sarajevo und Muslime in der Republika Srpska die Verbrechen der anderen Seite aufdecken dürfen.
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