: „Daß meine Kampfmethoden die richtigen sind“
Im oberfränkischen Pottenstein wird noch heute ein Mann als Forscher verehrt, der als SS-Führer für Kriegsverbrechen an Partisanen und Zivilbevölkerung im heutigen Slowenien verantwortlich war. Im adriatischen Karstgebiet leben noch Augenzeugen der Verbrechen des Hans Brand ■ Von Bernd Siegler
Einsam liegt es auf einem Hochplateau im slowenischen Karst: das Dorf Lokve. Die Kirche steht am Ortsrand auf einem Hügel, ringsum alte Häuser und ein Schlepplift. Früher machten hier Italiener Urlaub. Geblieben ist der morbide Charme eines ehemaligen kleinen Wintersportorts. Die jungen Leute haben der kargen Landschaft zwischen Ljubljana und Udine den Rücken gekehrt. Nur die Alten sind noch da – und mit ihnen die Erinnerung an den schwärzesten Tag für Lokve: den 20. Januar 1944.
Rozawita Gruden war damals 29 Jahre alt, ihre Tochter fünf. Ihr Mann war wie alle zur italienischen Armee eingezogen worden. Der Teil Sloweniens, in dem Lokve liegt, gehörte seit 1918 zu Italien und kam erst 1947 zu Jugoslawien. Rozawita Gruden erinnert sich: „Die deutschen Flugzeuge, wir nannten sie Störche, kamen, als wir beim Frühstück saßen. Es gab Polenta und Kaffee wie immer. Sie flogen über unser Dorf und warfen Bomben ab.“ Das Nachbarhaus wurde getroffen, eine alte Frau und zwei Jungen waren sofort tot. Die Frauen und Kinder flüchteten in den angrenzenden Wald und versteckten sich in einem Graben. „Dann fand im Dorf ein Kampf statt, die Kugeln flogen über unsere Köpfe“, erzählt die 83jährige. Erst am nächsten Morgen wagten die Frauen von Lokve sich aus dem Wald heraus. Ihr Dorf gab es nicht mehr. Die Häuser waren niedergebrannt, das Vieh war tot. Nur die Kirche stand wie eh und je auf ihrem Hügel. „Das waren die Deutschen“, sagt Rozawita Gruden.
Genaueres kann man einem Bericht des SS-Kriegsberichterstatters Scheidt entnehmen, der im Archiv des Instituts für Neuere Geschichte in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana liegt. Scheidt, der im Auftrag der Propagandatruppe des SS-Kommandos Adria die deutschen Einheiten mit Notizblock und Fotoapparat begleitete, schildert darin Aktivitäten von „Banditen“ – so nannten die Nazis die Partisanen – in und um Lokve: „Das Dorf wurde zur Strafe niedergebrannt, Kirche und Pfarrhaus wurden verschont.“ Scheidt spricht von einem „Standartenführer Brandt“, der den Einsatz der SS- und Polizeieinheiten geleitet hatte.
Ein Schreibfehler: Denn zur fraglichen Zeit – das belegen Kriegsberichte und Einsatzaufzeichnungen der deutschen Einheiten – war im jugoslawischen Karstgebiet kein SS-Standartenführer „Brandt“ mit der Bekämpfung der Partisanen betraut, sondern ein Standartenführer Brand, Dr. Ing. Hans Brand. Der Mann war 1935 der NSDAP beigetreten und wurde am 1. September 1939 als Hauptsturmführer in die SS aufgenommen.
Der damals 60jährige machte schnell Karriere. 1941 wurde er zum Sturmbannführer befördert, im Juli 1942 von Heinrich Himmler, dem Reichsführer-SS, zum Führer einer neu aufgestellten SS- Karstwehrkompanie ernannt und zum Standartenführer befördert, was in der Wehrmacht einem Oberst entsprach. Die Sondereinheit unterstand zunächst unmittelbar Himmler, ab November 1943 – inzwischen über 1.000 Mann stark – direkt dem höchsten SS- und Polizeiführer Italiens zur Partisanenbekämpfung im adriatischen Küstengebiet, Karl Wolff.
Vor ihrem Einsatz an der Adria war die Karstwehr in Dachau, später im oberfränkischen Pottenstein stationiert. Dort wird Hans Brand noch heute verehrt. Der Geologe hatte die Teufelshöhle zugänglich gemacht, mit rund 200.000 Besuchern pro Jahr ist sie noch heute die Haupteinnahmequelle der Stadt. Vor der Tropfsteinhöhle hing bis vor einem Jahr eine Tafel mit Brands Konterfei: „In Verehrung und Dankbarkeit, die Stadt Pottenstein.“
Im Pottenstein der NS-Zeit war Brand Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Er beherbergte Himmler und Göring bei sich. Das Karstgebiet rund um das Städtchen machte er zum Trainingsgelände für die spätere Partisanenbekämpfung. Die Unterkünfte und einen künstlichen See als „Wasserübungsgelände“ ließ er von KZ-Häftlingen bauen und anlegen. Dafür holte er 1942 eine Außenstelle des Konzentrationslagers Flossenbürg nach Pottenstein. All das weiß man in der Stadt.
„Er war ein Glücksfall für Pottenstein“, betont Altbürgermeister Hans Körber (CSU) trotzdem. Das mit der SS müsse man verstehen, das sei eben „die Studiengemeinschaft von Leuten gewesen, die damals das Sagen hatten“. Auch für den jetzigen CSU-Bürgermeister, Dieter Bauernschmitt, sind Brands Verdienste „unbestritten“. Immerhin spricht er von einem Mann mit „zwei Gesichtern“. Der „Herr Professor“, wie Brand in Pottenstein genannt wird, aber ein Kriegsverbrecher? „Dafür gibt es keine Beweise.“ Brand habe nur „mitgespielt“ und an „normalen Kriegseinsätzen“ teilgenommen.
Der Historiker Tone Ferenc denkt anders darüber: „Brand wäre bei uns als Kriegsverbrecher eingestuft und abgeurteilt worden“, sagt der 70jährige Professor, der im Ljubljaner Institut für Neuere Geschichte arbeitet und zu den maßgeblichen Forschern über den Zweiten Weltkrieg gehört. Er bedauert, daß die dazu notwendigen Akten zu lange geschlossen waren. Von Moskau bis Washington, von Berlin bis Rom hat er die Archive nach Dokumenten über den Partisanenkrieg durchforstet.
Im Sommer 1944 kämpften etwa 40.000 Partisanen in Slowenien. Die Karstwehr kam nach dem Kriegsaustritt Italiens Anfang September 1943 zum Einsatz. Sie zog von ihren Stützpunkten in Slowenien aus mit Lastwagen und Pferden in den Karst. Am 20. Januar 1944 auch nach Lokve.
Und Mitte Februar nach Komen: Am 2. Februar 1944 war eine deutsche Kolonne auf der Straße von Komen nach Rihemberk angegriffen worden. Die Partisanen töteten 96 Soldaten. Die Deutschen rächten sich zwei Wochen später: Brands Karstwehr brannte fünf Dörfer ab. In Komen machte man auch vor der Kirche nicht halt. Der heute 84jährige Slavko Godnik hat das miterlebt. Er wohnt immer noch in Komen. Ferenc hat ihn als Augenzeugen befragt und kommt seitdem öfter her.
Godnik erzählt langsam: „Drei Soldaten kamen zu uns rauf und riefen: ,Raus! Raus! Raus!‘ Er war damals wegen einer Kriegsverletzung auf Heimaturlaub. Die Karstwehrsoldaten trieben alle Bewohner ans Dorfende. Von dort mußte Godnik zusehen, wie die Häuser niedergebrannt wurden. Alle Erwachsenen wurden später nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt. Godnik schuftete auf Bauernhöfen in der Oberpfalz, danach in einer Holzfabrik im fränkischen Ansbach. Nach Kriegsende machte er sich auf den langen Weg nach Hause. Als er davon erzählt, weint er: In Komen standen nur noch Ruinen. Tone Ferenc legt den Arm um ihn und versucht ihn abzulenken.
Einen Monat, bevor die Karstwehr Komen zerstörte, am 6. Januar 1944, hatte Brand bei Himmler schriftlich um die alleinige Leitung der Partisanenbekämpfung in Slowenien gebeten: „Vielleicht gelingt es mir recht bald, durch neue Erfolge beweisen zu können, daß meine Kampfmethoden die einzig richtigen für das hiesige Gebiet sind.“ Brands Kampfmethode hieß verbrannte Erde: Komen, Lokve. Rihemberg, Strmec, Divci, Jablanec, Mali Dol, Tomacevice – die Liste der verwüsteten Orte ist lang.
Am 2. Juni 1944 entband Himmler den inzwischen 65jährigen Brand von der Führung des Karstwehrbataillons und ernannte ihn zum Leiter der SS-Fortifikationsstelle zur Erforschung der italienischen Grenzwehranlagen. Die von Brand trainierte Karstwehr wütete weiter. Der neue Kommandeur hieß Josef Berschneider, Brand hatte ihn ausgebildet. In Lipa – heute Kroatien – verübte die Karstwehr ein Verbrechen, das Ferenc und andere Historiker auf eine Stufe stellen mit der Auslöschung des tschechischen Dorfes Lidice im Juni 1942. Die Karstwehr marschierte in Lipa ein. Einen Teil der Dorfbewohner ermordeten die SS-Leute sofort. Die anderen sperrten sie in ein Haus am Ortsrand und zündeten es an. 263 Menschen verbrannten, Frauen, alte Leute und Kinder.
Und noch ein weiteres Kriegsverbrechen, das „schrecklichste und grausamste in ganz Slowenien“ lastet der Historiker Ferenc der Karstwehr an. Es wurde in Idrijske Krnice verübt, dort, wo der Karst am schönsten ist und wo die wenigen Bauern in den geschützten und fruchtbaren Mulden des Gebirges Gemüse und Getreide anbauen. Weit voneinander entfernt stehen am Rand dieser Mulden in 1.000 Meter Höhe die kleinen Bauernhäuser mit ihrem abblätternden Putz und dem Fiat 500 vor der Tür. Im Museum der Stadt Idrija hat man einen ganzen Raum für die stummen Zeugen des SS- Verbrechens reserviert: einen Hackklotz und eine Axt.
Am 12. Juni 1944 rückte die Karstwehr mit zwei gefangenen Partisanen in Idrijske Krnice an. Jozefa Kenda war damals 23 Jahre alt. Sie wurde mit anderen Dorfbewohnern in ein Haus eingesperrt und sah durch ein Giebelfenster mit an, wie die Deutschen den Partisanen mit einem Messer die Augen ausstachen und sie auf dem Hackklotz köpften. Die Bäuerin erinnert sich an jedes Detail: „Die Deutschen haben gejohlt, als denen die Köpfe abgehackt wurden. Dann haben sie die Köpfe auf einen Tisch gelegt, ihnen sogenannte Titomützen aufgesetzt und ihnen Zigaretten in den Mund gesteckt.“
Die Deutschen hatten sich dabei fotografiert. Den Film gaben sie einem einheimischen Fotografen zum Entwickeln. Der fertigte jeweils zwei Abzüge an und gab einen davon an die Partisanen weiter. Sie befragten Augenzeugen und protokollierten deren Aussagen. Schnell verbreitete sich die Nachricht, was in Idrijske Krnice geschehen war.
Dieses in seiner Brutalität einmalige Verbrechen – normalerweise wurden gefangene Partisanen erschossen – ließ Ferenc nicht ruhen. Er sammelte die Protokolle, forschte in italienischen Archiven, im Document Center in Berlin und im Bundesarchiv in Koblenz und fand den Beweis für die Täterschaft der Karstwehr: „Die Gefangenen wurden sofort dem von Sebreglja in das Conomlatal vorstoßende SS-Karstwehrbtl. übergeben. Zwei derselben wurden mit einem Beil geköpft“, heißt es in einem Bericht des ebenfalls in der Gegend stationierten 139. Gebirgsjägerregiments vom 15. Juni 1944.
Der SS-Standartenführer und Geologe Hans Brand, der die Karstwehr trainiert und befehligt hatte, starb – unbehelligt und unbestraft – am 10. Januar 1959 in Pottenstein. Zu Ehren des Toten standen auf dem Marktplatz alle Vereine mit ihren Fahnen Spalier. Die Tafel an der Teufelshöhle haben Unbekannte im letzten Jahr geklaut. Noch in der jüngsten Auflage des Reiseführers über die Teufelshöhle heißt es: „Prof. Dr. Ing. Hans Brand, dem die Fränkische Schweiz, besonders die Stadt Pottenstein, soviel verdankt, hat seinen Lebensabend in seinem geliebten Pottenstein verbracht, dessen Ehrenbürger er war. In seinem großartigen Werk, der Erschließung der Teufelshöhle, lebt sein Name fort in allen Zeiten.“ In Pottenstein ist eine Straße nach Brand benannt. „Das ist das Mindeste, was er verdient hat“, meint Altbürgermeister Körber. Auch sein Nachfolger Bauernschmitt sieht keinen Grund, daran etwas zu ändern: „Das ist kein Thema. Warum auch?“
Tone Ferenc aus Ljubljana hat dazu nur einen knappen Kommentar: „Das erstaunt mich nicht, das ist doch oft passiert in Deutschland.“ Noch knapper fällt das Urteil von Rozawita Gruden aus, die Brands Vergeltungsaktion in Lokve überlebt hat: „Ne dob'er.“ Nicht gut.
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