: Avanti, Avantis bei Hoechst
Durch die Fusion mit Rhône-Poulenc wird Hoechst zum größten Pharmakonzern. Massiver Arbeitsplatzabbau in Deutschland und Frankreich befürchtet ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) – Big boss Dormann goes big. Im Palais de musique in Straßburg werden die Vorstandsvorsitzenden der Chemiekonzerne Hoechst und Rhône- Poulenc, Jürgen Dormann und Jean-René Fourtou, heute die Fusion ihrer Unternehmen zum Global player auf dem Markt für Life- Science-Produkte verkünden. Avantis soll das neue Unternehmen heißen, an dem Hoechst und Rhône-Poulenc je 50 Prozent halten werden.
Come together, heißt die aktuelle Strategie der multinationalen Konzerne. Doch bei Hoechst plus Rhône-Poulenc ziehen die Analysten Schnuten. „Das wäre nicht gerade die einfachste Verschmelzung“, äußerte sich ein renommierter Analyst in London. Hoechst schiebe schließlich einen Schuldenberg von 15 Milliarden Mark vor sich her und der von Rhône-Poulenc sei nicht viel kleiner. Dazu gebe es beim Portfolio erhebliche Überschneidungen: Allergien, Krebs, Kreislauferkrankungen. Rhône-Poulenc (Jahresumsatz 1997 17,5 Milliarden Mark) dürfte für Hoechst (22 Milliarden Mark), deren Flaggschiff Hoechst Marion Roussell gerade bei der Entwickung neuer Produkte mit Problemen kämpft, kein Garant für die von Dormann als „notwendig“ bezeichnete Erweiterung der Produktpalette sein.
„Erhebliche Überschneidungen“ implizieren aber auch die Chance auf eine Kostenreduzierung aufgrund von Synergieeffekten. Auf rund zwei Milliarden Mark beziffern Aktienexperten das jährliche Einsparpotential. In Frankreich und Deutschland beginnt zudem das große Zittern um die Arbeitsplätze. Die Analysten von Standard & Poor's glauben immerhin auch, daß Hoechst und Rhône-Poulenc den Herausforderungen eines „Pharmamarktes im Umbruch“ und den Folgen der Reformen in der Gesundheitspolitik in Europa und den USA „besser zusammen gewachsen sind als alleine“. Voraussetzung dafür bleibe allerdings die Konzentration beider Unternehmen auf Life Science: Pharma, Pflanzenschutz, Tiergesundheit.
Dormann hat da vorgesorgt. Nicht zuletzt deshalb, weil auch Analysten in Frankreich Rhône- Poulenc vor einer Liaison mit Hoechst gewarnt hatten, solange es in Frankfurt unter dem Dach von Hoechst noch rauche und stinke – und es ab und an auch noch zu imageschädigenden Explosionen komme. Vorbehaltlich der Zustimmung von Aufsichtsrat und Hauptversammlung wird die alte Chemie mit ihren „negative implications“ (Standard & Poor's) rückwirkend zum 1. November 1998 von Hoechst abgekoppelt.
Schnuten ziehen auch die Beschäftigten. „Kein Kommentar“, so die lapidare Antwort von Dormann auf Fragen nach der Anzahl der Beschäftigten, die nach vollzogener Fusion „freigesetzt“ werden. Dabei quält die Betriebsräte bei Hoechst seit Wochen die Angst um die Arbeitsplätze nicht nur wegen der bevorstehenden Allianz, sondern auch wegen der neuen Celanese AG, in der die alten Chemieaktivitäten von Hoechst gebündelt werden sollen. Auch Celanese in Frankfurt und Schwesterunternehmen Ticona in Kelsterbach werden Fertigungslinien stillegen. Die Verluste, die Hoechst etwa bei der Faserproduktion in den vergangenen Jahren eingefahren hat, würden sonst auch die Bilanz der neuen Celanese verhageln. Selbst bei Hoechst Marion Roussel, dem Flaggschiff (Pharma) im Konzern.
Die Belegschaft von Hoechst ist sauer. Denn Dormann redet lieber mit den Analysten als mit den Betriebsräten. Fest steht bislang nur: Der Firmensitz der neuen Holding wird Straßburg, Dormann wird Chef von Avantis, Jean-René Fourtou bekommt den Vizeposten. Was aber geschieht dann mit den MitarbeiterInnen in Frankfurt? Wie viele Arbeitsplätze in den zur Holding zählenden Unternehmen werden nach dem Zusammenschluß verloren gehen? Bleibt Hoechst überhaupt noch in Frankfurt? „Besonders die eigentlich friedvolle Vorweihnachtszeit ist in schlechter Hoechster Tradition wieder von Sorgen geprägt“, klagten die Betriebsräte von Hoechst Marion Roussell. „Dormann fährt Hoechst an die Wand“, konstatierte Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der IG Chemie.
Hoechst goes big. Mit einem Umsatz von knapp 25 Milliarden Mark auf dem Pharmasektor verdrängt Avantis den US-Giganten Merck von der Pool-Position. Beim Pflanzenschutz wird das neue Unternehmen hinter Novartis den zweiten Platz auf dem Weltmarkt einnehmen. Die „Godzilla- Strategie“ (Darmstädter Echo) wird durchgezogen. Daß Hoechst kein deutsches Unternehmen sei, hatte Dormann schon bei seinem Amtsantritt konstatiert, schließlich sei der größte Aktionär Kuwait. In Frankfurt glauben inzwischen alte Farbwerker, daß Hoechst eines Tages auch kein Unternehmen in Deutschland mehr sein wird. Dann würde es „endlich einen Radweg am Main entlang von Sindlingen über Hoechst und Griesheim bis in die Innenstadt geben“.
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