piwik no script img

Sackgasse mit Hintertür

■ Werder Bremen gewinnt in der Verlängerung gegen Tennis Borussia Berlin / Wie der SV Werder doch noch das Pokalhalbfinale erreichte, berichtet Gastautor Stefan Pulß

Das Schöne an der Pressetribüne ist ja, daß man auch mal andere Menschen kennenlernt. Zum Beispiel Berliner. Der Kollege von Bild Berlin, ein rotbäckiger Mittfünfziger, machte es verhältnismäßig leicht, ihn kennenzulernen. Er redete durchgehend, teils mit einem Telefon, teils mit sich, der Welt oder dem Herrgott. Schon nach ungefähr 20 Minuten resümierte er das gesamte Spiel: „Werders Einbahnstraßen-Fußball führte in die Sackgasse.“ Das sollte die Überschrift werden.

Zu dieser Zeit hatte Kovacec das 1:0 für Tennis Borussia erzielt, zum ersten Mal hatten die Berliner nach zehn Minuten die Mittellinie ernsthaft überschritten, ein schneller Konter, eine unorganisierte Werder-Abwehr, und es war passiert. Danach war von Werder lange Zeit nichts Vernünftiges mehr zu sehen. In den ersten Minuten hatten sie richtig Druck gemacht, aber nach dem Rückstand war es damit vorbei.

Zwar gab es nach wie vor eine deutliche Feldüberlegenheit der Bremer, aber mindestens ebensoviel Ratlosigkeit. Trares und Bode, die beiden Besten aus der letzten Bundesligapartie, waren nicht wiederzuerkennen. Nach der Pause, Flo und Kunz waren für Wicky und Trares gekommen, ging dann auch das Dauergesabbel von Andy Herzog wieder los. Eigentlich sollte das für jeden Trainer ein Signal sein, ihn auszuwechseln, aber es gab auf der Bank keine Alternative fürs Mittelfeld.

Der Berliner Kollege feilt unterdessen weiter an seiner headline. „Tennis Borussia – Sackgasse für Bremer Einbahnstraßen-Fußball“. Oder einfach: „Einbahnstraßen-Fußball in der Sackgasse“? Oder „... endete in der Sackgasse“? Seit Lubitschs „Konzentrationslager-Erhardt“ ist niemand mehr so von einer Formulierung begeistert gewesen.

Nach der fünften Fassung der Einbahnstraßen-Sackgassen-Metapher traf Flo. Es war in der 86. Minute und damit höchste Zeit für den Ausgleichstreffer. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings schwer zu entscheiden, ob ein Ausscheiden von Werder oder eine Verlängerung bei minus 6 Grad das größere Übel wäre. Das Herz begrüßte die Verlängerung, aber den treulosen Füßen war Werder schon völlig gleichgültig.

Wenigstens das Elfmeterschießen blieb den Zuschauern erspart, weil Wojtala in der 108. Minute den Ausweg aus der Sackgasse fand. Pawel Wojtala, eigentlich Manndecker, machte ungefähr von der 30. Minute an ein ausgezeichnetes Spiel – sicher in der Defensive, technisch gut und letztendlich erfolgreich nach vorn. Das war die wohl positivste Überraschung des gesamten Spiels.

Daneben muß Harvard Flo lobend erwähnt werden. Natürlich springt ihm der Ball immer noch häufig weit weg – auch Fußballgötter sind nur Menschen –, aber er brachte nach seiner Einwechselung auch manch Ansehbares zustande. Und – selbst wenn der Berichterstatter, seit Jahren bekennender Dieter-Eilts-Fan, hier einen gewissen subjektiven Überschwang berücksichtigt: Eilts ist wieder in absoluter Europameisterschafts-Form.

Das Schlußwort gebührt dem Bild-Zeitungs-Kollegen aus Berlin. „Tennis Borussia hat sich gut verkauft“, meinte er schließlich mit belegter Stimme. Recht hat er.

Stefan Pulß, Hörfunkmoderator RB1 – Hansawelle

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen