: Das Böse zahlt eine Gebetgebühr Von Ralf Sotscheck
Es ist ein ungleiches Match, die Gastmannschaft spielt in Überzahl. Dennoch ist es spannend, die Taktik beider Teams zu beobachten, denn so mancher Zweikampf hat es in sich. Spielbeginn ist um neun Uhr morgens, nachmittags um halb fünf wird abgepfiffen. Austragungsort ist die Westminster Abbey in London, Großbritanniens berühmteste Kirche. Seit 1066 werden hier Könige und Königinnen gekrönt, und wenn sie für immer abgedankt haben, werden sie in der Abtei auch bestattet.
Wenn die Kirche morgens ihre Pforten für die Touristen öffnet, geht's los: Das Sicherheitspersonal, ältere Herren in würdevoller Kleidung, schwärmt aus und geht in Stellung. Einer von ihnen postiert sich am West-Eingang, durch den die Gäste einfallen, und weist jeden einzelnen persönlich auf die Fotografierverbotsschilder hin, die über das gesamte Spielfeld verteilt sind. Morgens haben die Aufpasser noch Heimvorteil. Ein dicker Amerikaner im T-Shirt mit dem Aufdruck „God is dead“ wird gleich am Eingang abgefangen, einem Teenager mit Walkman ergeht es ebenso. Unterdessen hat sich ein Japaner bis an das Grab des unbekannten Soldaten vorgekämpft und zückt unauffällig seine Kamera. Ist er des Englischen nicht mächtig und hat die Verbotsschilder nicht verstanden? Dann macht er einen entscheidenden Fehler: Er schaut nervös über die Schulter, ein glattes Schuldeingeständnis. Ein Aufpasser reißt ihm den Zeigefinger vom Auslöser und hält ihm eine Standpauke. 1:0 für die Heimmannschaft.
Die Führung währt nicht lange. Gegen Mittag bricht eine französische Schulklasse herein; 25 kleine Monster, alle mit Fotoapparaten bewaffnet. Vier haben außerdem offene Coladosen dabei, einer einen Hamburger, sieben saugen an Eiskremtüten, der Rest produziert pausenlos Kaugummiblasen. Ein kleiner Franzose marschiert im Stechschritt zwischen zwei Statuen hin und her und ahmt militärische Kommandos nach, während der Pfarrer ein kurzes Gebet von der Kanzel spricht: „Herr, komm zu uns und verbann alles Böse aus diesem Haus.“
Wen er dabei im Sinn hat, ist nicht schwer zu erraten, doch seine Gebete werden nicht erhört: Das Böse verfügt über den Eurostar, die schnelle Eisenbahn durch den Kanaltunnel, die am Bahnhof Waterloo gegenüber der Westminster Abbey auf der anderen Seite der Themse Endstation hat. Seitdem fallen die französischen Horden nach Fahrplan ein.
Die Wächter über die Abtei haben nun zum letzten Mittel gegriffen: Seit einer Weile erheben sie umgerechnet zehn Mark Eintritt. Die Gebetgebühr (Pay and Pray“) soll die schlimmsten Rowdies abschrecken. Der Tropfen, der das fromme Faß im Sommer zum Überlaufen brachte, war ein Chor aus Florida – 20 Amis in Shorts und geblümten Hemden stellten sich ausgerechnet unter dem Schild auf: „Dieser Teil der Abtei ist für stille Gebete reserviert.“ Dann schmetterten sie ein paar Choräle, und nach dem letzten Halleluja brachen die anderen Touristen in tosenden Beifall aus. Die Riege der Aufpasser erblaßte und warf das kollektive Handtuch.
Küster David Hutt glaubt fest an die bekehrende Wirkung der Eintrittsgebühr: „Die Leute werden als Touristen ankommen und uns als Pilger verlassen.“ Sogar die Franzosen?
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