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Nato sucht neue Strategie

Die Außenminister des westlichen Militärbündnisses beraten in Brüssel über die künftige Rolle der Atomwaffen  ■ Von Andreas Zumach

Die künftige Bedeutung von Atomwaffen in der Nato- Strategie ist neben der Frage weltweiter Interventionen der Allianz auch ohne UNO-Mandat das zentrale Thema der internen Bündnisdiskussion um ein neues Konzept. Nach der gestrigen Außenministertagung in Brüssel ist es unwahrscheinlich, daß sich das Bündnis bis zu seinem 50.-Geburtstags-Gipfel Anfang April in Washington auf eindeutige Positionen einigt. Beim Gipfel dürfte zunächst ein Formelkompromiß verkündet werden, der – anders als in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung gefordert – im Atomwaffenbereich bislang bestehende Optionen wie die Ersteinsatzdoktrin auf keinen Fall einschränkt und die Möglichkeit zu deren Erweiterung auf Diskussionen nach dem Gipfel verschiebt.

In der Atomwaffenfrage drängen neben Bundesaußenminister Joschka Fischer auch die Regierungen Kanadas, Norwegens, Dänemarks und anderer Nato-Partner darauf, die einst ausschließlich zur Abschreckung gegen die seit knapp sieben Jahren nicht mehr existente Sowjetunion entwickelte Option zum Ersteinsatz von Atomwaffen aus der künftigen Strategie zu streichen. Die Atomwaffenmächte USA, Großbritannien und Frankreich lehnen diesen Verzicht ab. Begründung: Damit verlöre die Nato jedwede Abschreckungs-Glaubwürdigkeit gegenüber potentiellen künftigen Gegnern.

Der Hinweis auf eine „nicht auszuschließende“ neue Bedrohung durch ein eventuell militärisch wiedererstarkendes Rußland spielt für diese Argumentation derzeit nur eine unwesentliche Rolle. Zentrales Motiv insbesondere für die USA ist die Absicht, mit der A-Waffen-Drohung künftig sogenannte „Schurkenstaaten“ wie Irak oder Iran bzw. nicht näher lokalisierte „Terroristen-Netzwerke“ von der Anschaffung, Entwicklung und dem Einsatz biologischer oder chemischer Waffen sowie weitreichender Raketen abzuhalten.

Dieses Konzeption einer „militärischen Counterproliferation“ bedeutete im Gegensatz zum Verzicht auf die Ersteinsatzoption eine erhebliche Ausweitung der bisherigen A-Waffen-Doktrin der Nato. Der ehemalige US-General Lee Butler machte im Vorfeld der gestrigen Nato-Tagung in einem Schreiben an Fischer deutlich, daß auch unter US-Militärs erhebliche Bedenken gegen diese Ausweitung sowie gegen das Festhalten an der Ersteinsatzdoktrin bestehen (siehe Dokumentation). Bei ihren jüngsten Gesprächen in Washington haben Fischer und Verteidigungsminister Rudolf Scharping zwar versäumt, sich gegen die Pläne der USA auszusprechen. Und auch in dem internen Positionspapier der Bonner Regierung, das nach dem Streit zwischen Fischer und Scharping über den Ersteinsatz-Verzicht von Auswärtigem Amt und Hardthöhe gemeinsam für die gestrige und für künftige Nato-Beratungen formuliert wurde, wird das Ansinnen der USA nicht abgelehnt. Doch bei Frankreich und einer Reihe weiterer Nato-Mitglieder stößt Washington bislang auf so entschiedene Ablehnung, daß mit einer Aufnahme der amerikanischen Vorstellungen in das künftige Strategiedokument der Nato bis zum Gipfel im April nicht zu rechnen ist. Zumal wenn die russische Duma demnächst doch das START-II-Abkommen mit den USA ratifizieren sollte, wofür es neuerdings einige Anzeichen gibt. Dann dürfte in den USA eine neue Debatte über den Abzug der noch verbliebenen 150 bis 185 substrategischen Atomwaffen in Westeuropa beginnen. Nur diese Waffen kämen operativ für eine Politik der „militärischen Counterproliferation“ in Frage.

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