■ Filmstarts à la carte: Exotik, Aufregung, Spannung
Große Raubkatzen sind in Thailand heute nahezu ausgestorben. Wenn man den 1927 von Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack im dortigen Dschungel gedrehten Dokumentarfilm „Chang“ gesehen hat, weiß man warum. Denn ohne Tiger- oder Leopardenjagd lief in der grünen Hölle von Siam gar nichts. Allerdings besuchten die beiden Regisseure mit ihrer Kamera keine gelangweilten fürstlichen Hobbyjäger, sondern einfache Bauern, die ihren Haustierbestand durch die Katzen bedroht sahen. „Chang“ bedeutete für die späteren King- Kong-Schöpfer den langsamen Übergang vom Dokumentar- zum Spielfilm: „A Drama of the Wilderness“ heißt das Werk im Untertitel – und so steht hier nicht mehr das Interesse an den Menschen und ihren Lebensumständen im Vordergrund – wie noch im Expeditionsfilm „Grass“ –, sondern der Thrill des Abenteuers. Schnell werden deshalb die anfänglichen ruhigen Szenen von Feld- und Hausarbeit der Eingeborenen aufgegeben zugunsten von Aufnahmen inszenierter Jagden, exotischer Tiere und einer spektakulären Elefantenstampede.
Beinahe ebenso aufregend gestaltet sich eine Produktion, die von der Filmbühne am Steinplatz in Zusammenarbeit mit der taz am Jour fixe des Dokumentarfilms präsentiert wird: In „Herbsten“ entführt uns der Regisseur Michael Schorr zu einer Expedition ins wilde Rheinland-Pfalz. Werden es die Winzer der südlichen Weinstraße schaffen, die Ernte einzubringen, ehe die ersten Nachtfröste dem goldenen Oktober den Garaus machen? Und welchen Öchslegrad wird der Most dieses Jahrgangs erreichen? Fragen über Fragen...
Sehr exotisch klingt auch, was der Programmzettel des Arsenal- Kinos über den Experimentalfilm „Tartans, Plaids, Bagpipes“ zu verkünden weiß. Regisseurin Petra Kraus-Karon schrieb über ihr Werk: „Dieser Film ist eine Hommage an Schottland. 117 Darsteller, unterstützt von der traditionellen Musik von Dudelsäcken, spielen die glorreiche und heroische Geschichte dieser stolzen Nation. Die Darsteller erscheinen in Form von Tartans, Schottenmustern.“ Wie immer das auch funktionieren mag. Im gleichen Programm: „Diagonalsinfonie“ des schwedischen Malers Viking Eggeling, der in den zwanziger Jahren in Deutschland als einer der ersten mit abstraktem Film experimentierte.
„Marlene Dietrich spielte nicht, sie erschien“, schrieb einmal der Filmjournalist John Baxter. Selbst in ihren besten Filmen drückte ihr Gesicht meist gar nichts aus – ein ideales Objekt für die Lichtschöpfungen ihres Mentors Josef von Sternberg und eine Projektionsfläche für die Phantasie des Publikums. Vom 11. bis 13.12. zeigt die Stiftung Deutsche Kinemathek restaurierte und neue Kopien von Dietrich-Filmen: Neben von Sternbergs „Blonde Venus“ und „The Devil is a Woman“ gelangen auch die weniger bekannten „Gefahren der Brautzeit“ von Fred Sauer und Robert Lands Publikumserfolg „Ich küsse Ihre Hand, Madame“, in dem Marlene schon mal den Vamp übte, zur Aufführung. In der gelungensten Szene darf sie ihre Beine zeigen, die gemeinsam mit denen des Harry Liedke eine Treppe hinabsteigen – etwas steif zunächst, dann beschwingter, schließlich ganz eng beieinander. Das muß Liebe sein.
Lars Penning
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