: Spritzenplatz sucht Eiffelturm
■ „Die Bettelkönigin“: Hildegard Wohlgemuth malt zur Geschichte ihres Lebens
Kinderbücher, die Erwachsenen gefallen: Das sollte mißtrauisch machen. Andererseits muß sie ja auch jemand für die Kleinen kaufen. Aber ob die überhaupt den gleichen Geschmack haben? Im folgenden Fall ist davon auszugehen: Die Bettelkönigin von Irene Stratenwerth und Thomas Bock ist ein wunderschönes Buch. Wunderschön ist ein kitschiges Wort und bewußt gewählt, weil man an ein paar Stellen lachen muß, an anderen fast weinen, und am Ende alles gut ausgeht.
Die Geschichte spielt im Frühling. Felix geht mit Finchen zu ihren Freunden an den Brunnen. Prominent ist dort Maruschka, die 20 Röcke trägt, ein großes Herz hat und ihr soeben erbetteltes Geld sofort weiterverschenkt. Sie trägt ein Schild, auf dem „Bin schizophren. Male gern“ steht. Bald teilen sich die Wege der Protagonisten: Maruschka verschwindet, weil sie nach Paris möchte. Finchen verschwindet, weil sie Maruschka sucht. Und Felix sucht mit seinen Freunden nach Finchen. Bei dieser spannenden Odyssee werden viele Fragen aufgeworfen. Warum niemand außer Felix Finchen sucht, oder was es mit Maruschkas Kindern auf sich hat. Und Finchen traut sich endlich, ihre Mutter in der Psychiatrie zu besuchen.
Da startet der große Showdown: Denn nicht nur Finchens Mama ist auf der Station, sondern auch die vermißte Maruschka. Zu guter Letzt stürmt die ganze Kinderbande das Krankenhaus, woraufhin eine dieser großartigen Kinderbuchparties startet, bei der jeder auf seine Art mithilft. Alle Probleme werden gelöst und auch die letzten Fragen geklärt. Und überhaupt ist alles so, wie es eben in solchen Büchern ist: Alle sind gut, nur die Glatzen sind böse, und Mädchen spielen prima Fußball.
Was nicht so ist, wie es eben in solchen Büchern ist, sind die Illustrationen. Sie stammen von Hildegard Wohlgemuth aus Ottensen, die seit 50 Jahren auf Hamburgs Plätzen bettelt. Ihr Leben diente als Vorlage für die Titelheldin: Mit elf Jahren wurde sie nach der Bombardierung eines Kinderheimes verschüttet. Seitdem begleiten sie die Geister und Stimmen der anderen Kinder, die alle umkamen. Kein Haus ist mehr ein sicherer Ort für sie. Vor zehn Jahren traf sie eine Künstlerin, die ihr Farben und Papier gab. So hat sie begonnen zu malen. Annette Weise
Irene Stratenwerth/Thomas Bock: „Die Bettelkönigin“, Kore, Freiburg 1998, 118 Seiten, 35 Mark
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