■ Warum ein Schuldenerlaß für Mittelamerika doch sinnvoll ist: Die Ungerechtigkeit der Buchhalter
Es ist selten, daß nach einer Naturkatastrophe nicht nur Soforthilfe, sondern auch längerfristige entwicklungspolitische Forderungen international Gehör finden. Nach dem Hurrikan „Mitch“, der Honduras und Nicaragua verwüstete, wurde die fatale Verschuldungssituation beider Länder zum Thema. In Deutschland jedoch zeigte sich die rot-grüne Regierung zögerlich, während man in Frankreich und anderen Ländern bereits die völlige oder teilweise Streichung der Schulden beschloß. Es ist eine allzu wohlwollende Interpretation, daß dieses Zögern, wie Toni Keppeler in seinem taz-Kommentar kürzlich meinte, weitsichtigen entwicklungspolitischen Überlegungen der zuständigen Ministerin Heidemarie Wieczorek- Zeul entspringt, die dafür ungerechtfertigterweise „Schelte von Soli-Gruppen“ bekommen habe.
Das Problem liegt woanders. Zum einen geht es für Deutschland schlicht um deutlich mehr Geld als für andere Länder: Indem Bonn per Einigungsvertrag die Schuldenlast des sandinistischen Nicaragua an die DDR erbte und 1:1 in Rechnung stellte, wurde die Bundesrepublik über Nacht zum größten Einzelgläubiger Nicaraguas. Und Nicaragua könnte ein Präzedenzfall sein für die von der Bundesrepublik übernommenen DDR-Alt-Schulden gleich einer ganzen Reihe von Staaten – insgesamt immerhin 6,2 Milliarden Mark.
Damit verbunden ist ein zweites Problem: Entwicklungshilfe-Ministerin Wieczorek-Zeul ist für diese Schulden gar nicht zuständig. Denn die DDR leistete ihre Art von Entwicklungshilfe zum größten Teil in Form von Darlehen, bei denen beide Seiten wußten, daß man wenig Wert auf Rückzahlung legte. Aber verbucht sind sie als kommerzielle Kredite, und so hat sie der Einigungsvertrag übernommen, sozusagen als offene Rechnungen für gelieferte Waren. Damit aber fallen sie in das Ressort von Oskar Lafontaine. Und dort sind sie nicht nach entwicklungspolitischen Gesichtspunkten diskutierbar, sondern nur unter dem Aspekt, daß sie zu bezahlen sind.
Es geht darum, einen an Entwicklungszielen orientierten Umgang mit den Schulden möglich zu machen. Zunächst müssen dafür aber die DDR-Alt-Schulden, und genau darauf drängt die Erlaß-Kampagne der Soli-Bewegung, als „finanzielle Zusammenarbeit“ im Rahmen staatlicher Entwicklungshilfe klassifiziert werden – was sie ja de facto auch waren. Damit würde sie auch in die Zuständigkeit der BMZ-Ministerin Wieczorek-Zeul fallen. Erst dann gibt es verschiedene Modelle (und es gibt dafür Modelle), wie ein Schuldenerlaß über sogenannte „Gegenwertfonds“ mit gezielten, sozial und ökologisch ausgerichteten Aufbaumaßnahmen verbunden werden kann.
Mit seinem „So einfach ist das nicht“ in Sachen Schuldenerlaß rennt Toni Keppeler bei den Solidaritätsbewegten jedenfalls offene Türen ein. Kaum einer von ihnen wird das Weiter-so des neoliberalen Modells, auf das sich die Regierungen in Managua und Tegucigalpa mit dem IWF verständigen, für ein sozial verträgliches oder zukunftsfähiges Wirtschaften halten. Nur ahnt man, daß es nicht ganz leicht sein wird, das herrschende Entwicklungsmodell von Grund auf zu ändern. Derweil kann man versuchen, das Machbare zu tun.
Damit es für eine „Wirtschaftspolitik, die nicht nur den Welt-, sondern auch den Binnenmarkt im Auge behält“ (Toni Keppeler) aber überhaupt eine Möglichkeit gibt, ist ein Erlaß der Devisenschulden mit ihrem Zwang zur Exportökonomie völlig unverzichtbar.
Deutschlands „besondere Verantwortung“, wenn man so will, sind die Alt-Schulden der DDR, die dem Bonner Finanzministerium so unverhofft wie unverdient durch eine buchhalterische Wendung zugefallen sind. Dies zu korrigieren würde den Ländern Zentralamerikas helfen – und en passant auch der DDR an diesem Punkt schlicht historische Gerechtigkeit widerfahren lassen. Im Februar ist dazu eine Anhörung im Bundestag angesetzt. Bert Hoffmann
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