: Biblis-Betriebsrat plant Aktion „dunkle Republik“
■ Das hessische Uralt-AKW Biblis steht ganz oben auf der Abschußliste der Grünen. Betreiber RWE will mit hessischer Regierung über Zukunftskonzepte für Energieversorgung verhandeln
Biblis (taz) – Es gibt kein Café in Biblis, aber zwei Atomkraftwerke. „Wir trinken unseren Kaffee eben zu Hause“, lacht die Verkäuferin in der Bäckerei und reicht die Tüte mit den hessischen „Krebbeln“ über die Theke: „Die sind auch mit Atomstrom gebacken.“ Der kommt aus den für eine Leistung von 2.500 Megawatt ausgelegten Meilern in den Spargeläckern fünf Kilometer außerhalb der 9.000 Einwohner zählenden Kommune im Landkreis Bergstraße.
Wozu die Atomblöcke A und B in Biblis, erbaut 1974 und 1976, sonst noch dienen, erklärte schon 1985 Ministerpräsident Holger Börner (SPD) den Kritikern: zum Kühlen, „damit Sie ihre Wurscht nicht aus dem Fenster hängen müssen“. Damals koalierte die SPD zum ersten Mal auf Landesebene mit den Grünen. Mit solchen Sprüchen kann Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) seinem Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) heute nicht mehr kommen. Die Sozialdemokraten haben schließlich im Gegensatz zu Börner 1985 einen Koalitionsvertrag gezeichnet, in dem der Ausstieg aus der Atomenergie fixiert ist.
Von der Bundesregierung fordern Betriebsrat und Beschäftigte des „KKW Biblis“ mehr Zeit: Laufzeit bis 2008. Doch Biblis steht neben Obrigheim und Stade ganz oben auf der „Abschußliste“ der Grünen. Seit ihnen der amtierende hessische Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) klar gemacht hat, daß der Block A nicht einmal Verhandlungsmasse bei den Konsensgesprächen sei, sondern „aus sicherheitstechnischen Erwägungen heraus“ von der Landesregierung ohnehin bald stillgelegt werde, haben sie sich in ihrer Wagenburg verbarrikadiert – mit Rückendeckung der Betreibergesellschaft RWE.
Betriebsrat und Konzernleitung verweigerten sich bislang hartnäckig den ihnen von der Landesregierung angebotenen Gesprächen über den Bau konventioneller Kraftwerke am Standort. Trotzig erklärte Betriebsratsboß Alwin Fitting, daß Biblis „ein Kernkraftwerksstandort“ bleiben werde. Dafür würden Betriebsrat und Belegschaft „mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten kämpfen“. Sie sind bereit, die Aktion „dunkle Republik“ durchzuführen: Stecker raus zu Spitzenzeiten, „nicht nur in Biblis“. Daß sie zum Kampf entschlossen sind, demonstrierten die Atomwerker schon: Sie besetzten die von den Grünen zum Wahlkampfauftakt gemietete Riedhalle in Biblis und pfiffen Joschka Fischer und die hessische Umweltministerin Priska Hinz aus. In Biblis geht es um rund 700 Arbeitsplätze.
Im Landtag nannte Hinz den Block A erst in der vergangenen Woche einen „Schrottreaktor“. Der Meiler werde fallen. Das müßten RWE und Betriebsrat akzeptieren. In der Konzernzentrale von RWE in Essen hat die Landesregierung inzwischen offenbar einen ersten Stein aus der Mauer der Verweigerung herausgebrochen. RWE-Vorstandsmitglied Hlubek erklärte sich am 9. Dezember bereit, über die Einrichtung einer Arbeitsgruppe nachzudenken, in der Vertreter der Landesregierung und der RWE gemeinsam über „Zukunftskonzepte für die Energieversorgung“ verhandeln sollen.
Bei Biblis A hält RWE tatsächlich schlechte Karten. Die 35 sicherheitstechnischen Auflagen, mit denen das alte AKW schon 1990 auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden sollte und deren Vollzug RWE bislang verweigert, haben sich nämlich nicht die atomfeindlichen Grünen ausgedacht, sondern Union und FDP in Hessen. Damals hieß der Umweltminister Karlheinz Weimar (CDU). Und in einer US- Fachzeitschrift war über einen, von RWE vertuschten Beinahe-GAU in Biblis 1989 berichtet worden.
Eduard Bernhard vom Vorstand des BBU forderte gestern Umweltministerin Hinz auf, Block A endlich stillzulegen. Hinz zögert noch. Am 13. Januar soll im Bundeskabinett über den von Trittin vorgelegten Entwurf eines neuen Atomgesetzes entschieden werden. Am vergangenen Freitag blockierten rund 50 Atomkraftgegner bei Schichtwechsel die Zufahrt zum AKW. Die Verkäuferin in der Bäckerei fürchtet hingegen, daß der Backofen womöglich nicht mehr heiß wird, wenn beide Atommeiler stillgelegt werden. Klaus-Peter Klingelschmitt
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