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Einmal mußte es ja schiefgehen: Der politische Überlebenskünstler Benjamin Netanjahu steht ohne Mehrheit da. Jetzt muß in Israel neu gewählt werden. Das könnte nicht nur eine politische Wende herbeiführen. Die Parteienlandschaft steht vor einem Umbruch. Ein neuer Star will die Mitte erobern: der ehemalige Generalstabschef Amnon Lipkin-Schahak. Aus Jerusalem Georg Baltissen

Rechte stürzen Israels Rechte

Am Ende hat es ihn doch erwischt. Aber es war nicht die Linke, die ihn zu Fall brachte, sondern das eigene Lager. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte sich bei allen Seiten unbeliebt gemacht. Mit der Unterzeichnung des Wye-River-Abkommens Ende Oktober hat er sich selbst den Todesstoß versetzt. Die Rechte wollte ihm nicht länger verzeihen, daß er „das verheißene Land“ den Palästinensern übergeben würde. Und obwohl Netanjahu alles tat, um Siedlungserweiterungen zu ermöglichen, und sein Außenminister Ariel Sharon dazu aufrief, so viele Hügel wie nur möglich zu besetzen, traute selbst die Rechte seinen Worten nicht mehr. Selbst die faktische Aufkündigung des Wye-Abkommens konnte das eigene Lager nicht mehr beruhigen.

Am Ende stand Benjamin Netanjahu da wie der begossene Pudel. Sein Hilferuf an die Opposition, doch jetzt bitte in eine „nationale Regierung“ einzutreten, fand kein Gehör mehr. Oppositionschef Barak wußte, daß Netanjahus Zeit abgelaufen ist.

Der neue Stern an Israels politischem Himmel heißt Amnon Lipkin-Schahak. Der ehemalige Generalstabschef, der als Ziehsohn des ermordeten Ministerpräsidenten Rabin gilt, hat sich bisher dadurch ausgezeichnet, daß er nichts sagt. In Israel scheint das offenbar die beste Voraussetzung für das Amt des Ministerpräsidenten zu sein, wenn man Umfragen glauben kann. Die einen sehen Schahak mit 47 Prozent vor Barak (43 Prozent) und Netanjahu (37 Prozent). Rechnet man das zusammen, kommt man allerdings auf weit über 100 Prozent. Realistischere Befragungen rechnen für den Newcomer Schahak denn auch nur mit knapp 20 Prozent. Mit der Arbeitspartei will er nicht anbändeln, das hat er nach einem Essen mit Ehud Barak und Leah Rabin offiziell mitgeteilt. Entweder Chef oder gar nichts, lautet sein Motto.

Eine Partei des „mittleren Weges“ wird also gegen die bisherigen Blöcke Likud und Arbeitspartei zur Auswahl stehen. Wie in den 70er Jahren die Partei von Igal Jardin dürfte diese neue Partei in der Lage sein, 10 bis 15 der insgesamt 120 Knesset-Sitze zu erringen. Damit aber würde sie in der Debatte um die Regierungsbildung zum Zünglein an der Waage. Als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten muß Lipkin-Schahak gleichwohl in einen zweiten Wahlgang gehen. Netanjahu gegen Lipkin-Schahak, das ist ein durchaus vorstellbarer Wettkampf. Neuwahlen im Frühjahr sind sicher. Doch die Frage steht, wer tritt an, und wer steht für was? Obwohl die Likud-Strategen sich mit mehreren Kandidaten auseinandersetzen müssen, dürfte es an Netanjahus Nominierung wenig zu rütteln geben. Kommunikationsministerin Limor Livnak hat als Frau keine Chance im Likud, obwohl sie dem rechten Lager zuzurechnen ist. Uzi Landau, profilierter Knesset-Abgeordneter, kann nichts anderes versprechen, als ein besserer Netanjahu zu sein. Da wird man gleich das Original wählen.

Einzig Dan Meridor dürfte eine echte Herausforderung für den amtierenden Parteichef sein. Meridor repräsentiert einen alteingesessen Likud-Clan, der nach dem Scheitern des Emporkömmlings Netanjahu sein Gewicht in die Waagschale werfen wird. Und das dürfte nicht gering sein. Doch die Kandidatur als Vertreter einer wie immer gearteten „unabhängigen Mitte“ wird ihm Stimmen auf der Rechten kosten. Der weiter rechtsgerichtete Benny Begin dürfte den „Groß-Israel-Protagonisten“ als Vaterfigur dienen. Mit ungefähr 15 Abgeordneten in der Knesset könnte diese Fraktion einen wichtigen Block darstellen. Generell zeichnet sich ab, daß die traditionellen Parteien wie der Likud, die Arbeitspartei und die Nationalreligiösen Stimmen verlieren werden zugunsten kleinerer Splittergruppen und der „Neuen Mitte“.

Wie immer auch die Sitzverteilung im kommenden Parlament aussehen wird, keine Regierung wird das Verhältnis zu den USA so verschlechtern, wie es Netanjahu getan hat. Der Besuch von Bill Clinton in Gaza, der laut Intention der Regierung Netanjahu eigentlich dem demonstrativen Widerruf der palästinensischen Charta gelten sollte, erwies sich als eine indirekte Anerkennung des palästinensischen Anspruchs auf einen eigenen Staat. Ein klassisches Eigentor, das den Torsteher Netanjahu nicht eben wenig Sympathien gekostet haben dürfte.

Die israelische Opposition, die amerikanische Experten hat einfliegen lassen, um sie im Wahlkampf zu beraten, will den Kampf um die Stimmen nach eigenem Bekunden unter dem Motto „Für ein vereintes Israel ohne Extremisten“ führen. Entsprechende Plakate hat die Arbeitspartei schon vor Tagen ausgehängt. Der Likud dagegen plant eine Kampagne unter dem Motto „Wer kann die Verhandlungen mit den Palästinensern zu einem besseren Abschluß bringen?“. Letzteres ist zumindest die aktuellere Frage, denn Extremisten, welcher Couleur auch immer, werden voraussichtlich auch in der nächsten israelischen Regierung vertreten sein.

Gewählt wird der Ministerpräsident, vermutlich zum letzten Mal, direkt vom Volk. Der Gesetzentwurf zur Änderung dieser Direktwahl hat zu Wochenbeginn die Knesset passiert. In Kraft treten wird er allerdings erst nach den diesmaligen Wahlen. Sowohl Netanjahu als auch Oppositionsführer Barak stimmten gegen diesen Gesetzentwurf.

Israels Zukunft hängt weniger von dieser Wahl ab als von dem Willen, Frieden mit den Palästinensern zu schließen. Noch immer aber zeigt keine einzige israelische Partei Bereitschaft, das prinzipielle Unrecht einzugestehen, das den Palästinensern historisch angetan wurde. Ohne ein solches Eingeständnis, mit welchen Konsequenzen es auch verbunden sein mag, wird es kaum einen dauerhaften Frieden geben. Die Israelis wissen das. Doch ob sie auch eine Partei finden, die dieses Wissen in die Tat umsetzt, ist derzeit ungewiß. Und die Palästinenser bilden dabei ein sehr unruhiges Publikum.

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