piwik no script img

■ Film ScriptBreaking the Dreams

Ein junger Mann beobachtet in der Sauna eine Gruppe nackter Frauen. Als er von der matronenhaften Bademeisterin erwischt und zur Rede gestellt wird, steht er nackt vor ihr, wäh- rend eine Zeitung seine Erektion verdeckt. „Was würden Sie tun ohne Extra Bladet?“ heißt es in einer Textzeile. Was ist das? Klamauk? Primitiv dazu? Auf alle Fälle ein Werbespot von Lars von Trier. Immer wieder läßt sich der dänische Regisseur von Autorenfilmen wie „Element of Crime“ (1984), „Europa“ (1991) oder „Breaking the Waves“ (1996) auf Projekte ein, die weder Fans noch Kritiker erwartet hätten.

Gerade in diesen Tagen kündigte seine Produktionsgesellschaft Zentropa an, noch „für das Weihnachtsgeschäft“ einen Softporno in den Handel bringen zu wollen. Ob Werbespots, Musikvideos, Fernsehshows oder Talkshowformate – die mediale Vielseitigkeit Lars von Triers läßt sich nur schwer mit dem Image des introvertierten Kunstfilmers unter einen Hut bringen.

In seinem Buch „Breaking the Dreams. Das Kino des Lars von Trier“ geht der Filmjournalist Achim Forst den vielen Aspekten im künstlerischen Schaffen des 42jährigen Regisseurs nach. Dazu bespricht er ausführlich jeden einzelnen Film, angefangen vom ersten Studentenprojekt „Nocturne“ (1980) bis hin zu „Idioten“ (Kinostart im Januar 1999). Leider steht in Achim Forsts Buch immer wieder der Interviewer und nicht der Interviewte im Vordergrund. Nach und nach verfestigt sich der Eindruck, daß „Breaking the Dreams“ zu oft nur die persönliche Ansicht des Autors wiedergibt. Das ist spätestens dann ärgerlich, wenn seine Statements aus Allgemeinplätzen bestehen wie: „Ich bin davon überzeugt, daß Bilder und ihre Montage eine bestimmte moralische Position ausdrücken.“

Nur unter dieser Prämisse kann man sich den Filmen von Lars von Trier überhaupt erst nähern. Es geht nie um das Abbilden einer wie auch immer aussehenden Realität. Lars von Trier will irritieren, schockieren, verunsichern. Seine Filme sollen Ängste erzeugen und Emotionen beeinflussen. Hypnose und Hypnotiseure sind nicht zufällig wiederkehrende Motive, sondern fallen oft genug mit der Wirkungsabsicht zusammen. Aus diesem Grund wird er selbst von einigen namhaften Filmkritikern als „Manipulator“ und „Demagoge“ abgelehnt.

Lars von Trier polarisiert sein Publikum. Mit Hilfe der Medien und manchmal auch gegen sie versteht er es, sich öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen. Man denke nur an seinen diesjährigen Cannes-Auftritt. Zusammen mit dem Regiekollegen Thomas Vinterberg („Das Fest“) fuhr er per Auto den langen Weg aus Kopenhagen bis an die Côte d'Azur. Was eine unspektakuläre Anreise hätte sein können, wurde von dem an einer Reisephobie leidenden Einzelgänger zur langsamen Annäherung der Kunst an den Markt stilisiert. Da durfte auch die „Internationale“ nicht fehlen, die er beim Einmarsch in den Festivalpavillon an der Croisette spielen ließ.

Genug Stoff zur Diskussion also, die in diesem Buch jedoch kaum stattfindet. Statt Kontroverse nur Akklamation. Trotz dieser Mängel liefert Lars von Trier so viel Stoff, daß das Buch zwangsläufig lesenswert wird. Darüber hinaus ist „Breaking the Dreams“ sehr aktuell und geht auf die zehn Regeln des zeitgenössischen Filmemachens ein, die Lars von Trier zusammen mit drei anderen dänischen Regisseuren in seinem „Dogma 95“ festhielt. Ob diese Regeln auch auf seinen ersten Dogma- Film „Idioten“ anwendbar sind, kann man hier schon nachlesen, noch bevor der Film überhaupt im Kino zu sehen ist. Spätestens beim nächsten Projekt dürften sich die Dogmen aber schon wieder erledigt haben. Denn da dreht Lars von Trier zusammen mit dem isländischen Popstar Björk ein Musical unter dem Titel „Dancer in the Dark“. Rückblickend auf seine bisherigen Filme gibt es wahrscheinlich nur eine Regel, an die er sich konsequent gehalten hat. In „Epidemic“ (1987) formuliert er sie so: „Ein Film sollte wie ein Stein im Schuh sein. Prost.“ Alexander Remler

Achim Forst: „Breaking the Dreams. Das Kino des Lars von Trier“. Schüren Presseverlag, Marburg 1998, 238 Seiten, 33,70DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen